Flucht vor dem Krieg und vor Abschiebung in die USA
Während andere im Alter von nicht einmal zwei Jahren riesige Entwicklungsschritte in gewohnter Umgebung machen, musste Neven Subotic flüchten. Die Kriegswirren in Ex-Jugoslawien zwangen Vater Zeljko, seine Frau, sowie Neven und seine Schwester Natalie 1990 zum Abschied aus Banja Luka - eine Nacht- und Nebelaktion, die in Baden-Württemberg ihr Ende fand.
Die Mittel waren gering, die Aussichten trübe. Unterkunft gewährte ihnen der TSV Schwarzenberg in Schönberg in einer Wohnung im Sportheim, die Leidenschaft für den Fußball wurde durch den grünen Rasen vor der Haustür geweckt und war gleichzeitig Hoffnung sowie Abwechslung zugleich, da der Neustart fernab der Heimat kein einfacher war.
Die Familie integrierte sich, fand an Deutschland gefallen, die Eltern hatten Jobs, die Kinder gingen zur Schule, spielten in den Jugendmannschaften - die Einbürgerung war nahe. Doch kurz vor dem Ziel sollten die Subotics 1999 abgeschoben werden, zurück nach Bosnien. Um dem zu entkommen, reiste die Familie mit Sack und Pack in die USA. Zuerst nach Utah, später nach Florida - der nächste einschneidende Wohnsitz-Wechsel.
Subotic, der den Zwangs-Abschied aus Deutschland bis heute nicht verstehen kann, sagte selbst darüber: "Es war auf der anderen Seite kein schlechtes Land, in das wir gingen. Amerika war für ein Kind wie die Nachricht, als würden wir jetzt im Disneyland wohnen."
Auf eigene Faust nach Deutschland - dank Klopp zur Ikone
Die Fußballliebe lebt er auch dort aus, wo Soccer nicht an erster Stelle steht und schließt sich der University of South Carolina an. Dort fiel er auch dem US-Fußballverband auf, nachdem die ganze Familie die Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Der damals 17-Jährige folgte dem Ruf der Einladung, fünf Tage nach seinem Geburtstag feierte er sein Debüt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Trotzdem ließ er nichts unversucht, seine Sehnsucht nach Deutschland zu tilgen. Die Möglichkeit eines Probetrainings bei Zweitligist Mainz 05 ließ Subotic alleine abreisen, um sich der Herausforderung zu stellen, die Familie ließ er in den USA zurück - der richtige Schritt des damals schon sehr ambitionierten Typen, der sich bezahlt machen sollte.
Subotic durfte in der A-Jugend ran, am letzten Spieltag der Saison 2006/07 stand er plötzlich im Bundesliga-Kader, ausgerechnet beim 2:5 gegen Bayern München. Der Abstieg sowie 33 Spiele in der 2. Liga folgten - unter niemand geringerem als Jürgen Klopp. Sein Mentor, sein Entdecker, sein heutiger Vorschlag als DFB-Bundestrainer, CL-Sieger und Meister mit Liverpool.
Ihm hatte Subotic auch die erfolgreichste Station seiner Karriere zu verdanken. Statt einen unterschriftsreifen Vertrag bei Hoffenheim zu unterzeichnen, überzeugte ihn Klopp, ihm zu Borussia Dortmund zu folgen. Trotz der Tilgung von Schulden ließen sich die Schwarz-Gelben den Wunschspieler des Trainers damals stolze 4,8 Millionen Euro kosten - alles andere ist Geschichte.
"Echte Liebe" in Dortmund und Vorbild John Terry
Über Subotic sagte der Coach einmal: "Ich habe noch nie einen Spieler gesehen, der in seinem Alter schon so weit war." Klopp hatte einen Plan, setzte mit Subotic und Mats Hummels auf zwei 19-Jährige, die anfangs noch als "Kinderriegel" belächelt wurden.
Wenig später lachten die BVB-Helden: Meister 2010/11, Doublesieger 2011/12, Champions-League-Finalist 2012/13. Und Subotic entwickelte sich zu einem Top-Verteidiger, seinem Idol John Terry nacheifernd ("Hart und kompromisslos, aber stets fair. Genau so ein Typ will ich sein"). Ein stiller Held, der sich mit Leidenschaft und Einsatz zum Publikumsliebling der "Gelben Wand" mauserte und alles für den Klub gab. Aktionen wie jene, als er - damals noch mit Auto - mitten auf einer Kreuzung voller Dortmund-Fans hielt, aufs Dach kletterte und "Deutscher Meister ist nur der BVB" anstimmte, steigerten seine Beliebtheitswerte zusätzlich. Angebliche Angebote von Manchester United und FC Barcelona ließ er links liegen. In der Zwischenzeit entschied er sich, auch nach vergeblichen Versuchen des DFB um die deutsche Staatsbürgerschaft, für Serbien zu spielen, 36 Mal lief er insgesamt für das Heimatland seiner Eltern auf.
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
Doch seine glorreichen Zeiten hatten ein Ablaufdatum. Ein Kreuzbandriss im November 2013 bedeutete einen Riesen-Schock, nach seinem Comeback war der Innenverteidiger nicht mehr der Alte. Mit Klopp kam ihm noch dazu sein größter Förderer abhanden, bei dessen Nachfolgern gehörte er nicht mehr zum Stammpersonal. Die halbjährige Leihe zum 1. FC Köln und dem damaligen Trainer Peter Stöger war sein erster Ausweg, jedoch auch nicht von Erfolg gekrönt.
Ein Gänsehauterlebnis gab es trotzdem - mit Köln, in Dortmund - und dieses bewies, wie stark das Band zwischen einem Spieler und Fans über Vereinsgrenzen und Rivalität hinaus sein kann. Bei der Rückkehr des Leihspielers standen die BVB-Spieler nach dem Spiel Spalier, während Subotic zur "Gelben Wand" schritt und mit Standing Ovations und Sprechchören gefeiert wurde, genau so wie auf der anderen Seite von den Köln-Anhängern. "Noch einmal die Wertschätzung zu bekommen für die ganze Arbeit, die ich investiert habe, für die ganzen schönen Momente, die wir gefeiert haben, auch die traurigen, die uns immer enger vereint haben, das ist eine Bindung, die auch in 100 Jahren noch bestehen wird", vergoss Subotic in diesem emotionalen Moment Tränen.
Wohltäter mit eigener Stiftung und S-Bahn statt Protz-Bolide
Ein halbes Jahr versauerte er nach der Leih-Rückkehr in Dortmund auf der Bank oder stand nicht einmal mehr im Kader, das letzte Monat sogar wieder unter Stöger. Der endgültige Abschied im Jänner 2018 war ebenso herzlich wie traurig, doch es war an der Zeit, noch einmal das Sportliche in den Mittelpunkt zu stellen.
Subotic war bei St. Etienne gesetzt, auch danach bei Union Berlin an der Seite von ÖFB-Teamspieler, Ex-Rapidler und Union-Kapitän Christopher Trimmel genoss er trotz der kurzen Zeit Kult-Status. Statt einem fetten Boliden, hatte er eine Monatskarte, drängte sich nach den Spielen mit Fans auf dem Heimweg nach Friedrichshain in der S-Bahn.
Fan-nah, bodenständig, ohne Star-Allüren. Einer, der sich auch immer für die Rechte der Spieler einsetzte, zum Anfang der Corona-Krise um fehlende Solidarität kämpfte und sich um Fußballer aus unteren Ligen und seine Mitmenschen sorgte. "Ich bin der erste, der sagt, 'das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren', sollte nachgewiesen werden, dass es Krankenhäusern an Testkits fehlt, wenn wir Spieler mehrmals wöchentlich auf das Coronavirus getestet werden", merkte er etwa bei "t-online.de" an.
Außerdem engagiert er sich als Wohltäter. 2012 gründete er die Neven-Subotic-Stiftung, die sich in Afrika vor allem um sauberes Trinkwasser, den Bau von Brunnen und Bildung einsetzt. "Ich sehe es als meine Pflicht an, mein Glück mit anderen zu teilen", nannte er damals als Grund für seine Bestrebungen. Anstatt mit Selfies von Luxusyachten zu protzen, macht er etwa Urlaub in Äthiopien, um die Fortschritte der Bauprojekte hautnah zu erleben.
Erdung in Altach nahe der (un)geliebten Heimat
Subotic, der Ehrenmann, bei dem das Herz noch am rechten Fleck zu sein scheint. Keine Selbstverständlichkeit im schnelllebigen, finanziell immer mehr nach oben getriebenen Fußball-Geschäft.
Der Wechsel zum SCR Altach nach seinem knapp halbjährigen Engagement in der Türkei bei Denizlispor ist eine weitere Erdung und eine Rückkehr in deutschsprachige Gefilde. Auch wenn er Deutschland noch immer ein wenig krumm nimmt, dass sie ihn zur Ausreise in die USA zwangen, bezeichnet er unser Nachbarland sehr wohl als seine Heimat.
Diesem ist er nun wieder sehr nahe. Seit 2018 besitzt er auch den deutschen Pass. Bemühungen des DFB, ihn für das deutsche Nationalteam einzubürgern, waren zu Beginn seiner Dortmund-Zeit nicht von Erfolg gekrönt. Diese Chance wurde ihm genommen.
Doch Subotic hat aus den Schicksalen seines Lebens immer das Beste gemacht. Nun hat es ihn nach Altach verschlagen, die Bundesliga kann sich auf ihn freuen. Denn mit Subotic kommt ein erfrischend und angenehm anderer Held in die Cashpoint-Arena.