Chaotische Saison
Es läuft aber anders als geplant. Die Saison verläuft mehr als chaotisch, es kommt zu zwei Trainerentlassungen, und Mitte März findet sich der FC Sevilla mitten im Kampf um den Klassenerhalt wieder. Der Vorsprung auf die Abstiegsplätze beträgt gerade einmal zwei Punkte.
Doch dann folgt eine der spektakulärsten Comeback-Saisons der letzten zehn Jahre. Sevilla ernennt Jose Mendilibar zum Coach. Die Mannschaft fängt an zu gewinnen und startet sogar eine Serie. In der Liga kämpft sie sich bis auf einen Punkt an die Europa-Cup-Plätze heran.
In der Europa-League werden Manchester United und Juventus Turin ausgeschaltet, im Finale wartet am Mittwoch die AS Roma (ab 21 Uhr, LIVE im Ticker >>>).
Ex-ÖFB-Star Andreas Ivanschitz durfte einst über drei Monate unter Trainer Mendilibar bei UD Levante auflaufen. Gegenüber LAOLA1 meint er: "Ich habe ihn als sehr akribischen Trainer kennengelernt."
LAOLA1 nimmt die irre Saison des FC Sevilla unter die Lupe. Dabei wird beleuchtet, wie der Klub in die größte sportliche Krise der jüngeren Vereinsgeschichte geraten ist und wie es den Andalusiern auf spektakuläre Art und Weise gelungen ist, die Spielzeit innerhalb von zwei Monaten noch zu einer Erfolgssaison zu machen.
"Wenn ein Trainer rausgeworfen wird, ist es auch ein Versagen des Sportdirektors"
"Er hat Dinge getan, die dich als Spieler aus dem Gleichgewicht bringen."
"Ich kann eigentlich nichts Schlechtes über die Zusammenarbeit sagen (...) Er ist sehr intensiv im Feedback, vor allem was taktische Inhalte betrifft."
Konfuses Ende der Lopetegui-Ära
Dabei deutete vor der Saison eigentlich nichts auf einen Absturz des FC Sevilla hin. Cheftrainer Julen Lopetegui stand nämlich eigentlich wie kaum ein anderer davor für Kontinuität beim FC Sevilla.
Er prägte eine unfassbar erfolgreiche Zeit der Andalusier. So führte er sie seit seiner Übernahme 2019 gleich drei Mal in die Top vier der spanischen Liga und damit in die Gruppenphase der Champions League.
2020 stand er zudem beim letzten großen Triumph des FC Sevillas in der Europa League an der Seitenlinie. Als Mastermind hinter dem Erfolg gilt auch Sevilla-Sportdirektor Monchi.
Nach sieben Ligaspieltagen findet sich der Klub dann allerdings mit fünf Punkten gerade einmal einen Zähler vor einem Abstiegsrang. Es beginnt das große Chaos. Bereits vor der 1:4-Pleite in der CL-Gruppenphase gegen den BVB heißt es: Lopetegui soll unabhängig vom Ergebnis entlassen werden.
Das geschieht dann auch. Die Art und Weise des Rauswurfes wird in Spanien heftigst kritisiert, nach der langen und erfolgreichen Zeit habe er sich einen würdevolleren Abschied verdient. "Ich denke, es ist fair ihm ein letztes Spiel geboten zu haben", entgegnet Sportdirektor Monchi den Vorwürfen.
Er nimmt seine Person aber nicht völlig aus der Schusslinie. "Wenn ein Trainer rausgeworfen wird, ist es auch ein Versagen des Sportdirektors", gibt er sich selbstkritisch.
Mit Sampaoli in Abstiegsnöten
Als Nachfolger kommt ein alter Bekannter ins Estadio Ramon Sanchez Pizjuan. Jorge Sampaoli folgt auf Lopetegui, der Argentinier betreute den Klub bereits 2016/17. International ist er durchaus angesehen, so holte er 2017 etwa mit Chile die Copa America.
Der Switch überrascht vorallem aus taktischer Sicht. Lopetegui prägte seine Mannschaft über Jahre mit einem pragmatischen Fußball aus einer gesicherten Defensive heraus. Sampaoli steht hingegen für waghalsigen und mutigen Offensivfußball, welcher durchaus defensiv anfällig ist.
Dabei deutet sich bereits in den ersten Partien ein Missverständnis an. Defensiv wirkt Sevilla verunsichert und lässt viele Chancen zu. In den ersten drei Ligapartien werden zwar fünf Zähler verbucht, allerdings zeigen schon da alle statistischen Werte entgegen der Leistung des Teams. Das bestätigt sich in weiterer Folge.
In der Champions League kann der Verein mit Platz drei und einer damit verbundenen Europa-League-Teilnahme noch den Schaden in Grenzen halten. In der Liga aber werden vor der WM in Katar lediglich zwei Zähler aus fünf Spielen verbucht und so findet sich der Verein mit 11 Punkten aus 14 Spielen in der Abstiegszone wieder.
Aufschwung im Jänner
Der Verein baut nach der WM dennoch weiter auf den Argentinier. Mit seiner emotionalen Art soll er die schwierige Saison noch gebacken bekommen. Das scheint im Jänner zu gelingen. Sevilla holt in diesem Monat Siege gegen die direkten Abstiegskonkurrenten Getafe, Alaves, Cadiz und Elche.
Ende Jänner befinden sich die Andalusier dadurch immerhin wieder zwei Zähler über dem Strich. Im Februar werden die Gegner dann nicht leichter. Dort springen gerade einmal vier Punkte heraus, womit man sich nicht entscheidend aus dem Abstiegskampf befreien kann.
Der große Lichtblick ist das Weiterkommen ins Achtelfinale der Europa League mit einem Triumph über PSV Eindhoven. Nach einem 3:0 im Hinspiel zittern sich die Andalusier mit einer 0:2-Pleite in die nächste Runde. Statistisch betrachtet wirkt dieses Weiterkommen alles andere als verdient.
Abstiegsangst mündet in Rauswurf
Ähnliches geschieht dann im März in der Achtfinalbegegnung gegen Fenerbahce. Trotz statistischer Unterlegenheit wird das Hinspiel 2:0 gewonnen. Im Rückspiel vergeben die Türken zahlreiche Gelegenheiten und kommen nicht über ein 1:0 hinaus.
In LaLiga sind es wieder nur vier Zähler im gesamten März, der Abstieg ist Mitte des Monats nur zwei Punkte entfernt. Die Geduld der Verantwortlichen hat ein Ende und Sampaoli wird entlassen.
Stürmer Rafa Mir tritt in der "Mundo Deportivo" sogar gegen den Trainer nach. "Lopetegui war einer der besten Trainer, die ich je hatte. Aber Sampaoli...er hat Dinge getan, die dich als Spieler aus dem Gleichgewicht bringen."
Neuer Coach sorgt für Furore
Mit Jose Luis Menidlibar folgt ein Trainer ohne den ganz großen Namen. In Spanien sorgte er für Aufsehen, als er mit durchaus begrenzten Mitteln Eibar zwischen 2015 und 2021 sechs Jahre in LaLiga hielt.
Der neue Coach stellt sich als Glücksgriff und absolutes Taktikgenie heraus. Plötzlich fängt Sevilla an zu siegen. In der Europa League wird nach einem 2:2-Hinspiel auf fulminante Art und Weise Manchester United mit 3:0 in Sevilla aus dem Bewerb geworfen.
In der Liga bleibt Sevilla im April sogar ungeschlagen, vier Siege und ein Remis stehen zu Buche. Erst im achten Spiel, am 1. Mai gegen Girona (0:2), bezieht man die erste Niederlage unter dem neuen Coach.
In der Europa League wird in weiterer Folge in einem packenden Duell aus taktischer Sicht Allegris Juve ausgeschaltet und der Finaleinzug fixiert. Vor allem die hohen Bälle der Spanier machen der "Alten Dame" zu schaffen.
Zwei Siege, zwei Remis und zuletzt eine Niederlage bei Real Madrid bringen das Team von Mendilibar einen Spieltag vor Schluss bis auf einen Punkt an die Europacup-Plätze heran.
Aber was ist das Erfolgsgeheimnis des 62-Jährigen? Wie hat er es geschafft, die Mannschaft innerhalb kürzester Zeit so viel erfolgreicher zu machen als sein direkter Vorgänger Sampaoli?
Ivanschitz: Mendilibar ist "akribisch"
Die Antwort auf die Frage weiß der ehemalige Levante-Legionär Andreas Ivanschitz. Mendilibar trainierte ihn dort ab Juli 2014. Aufgrund von Misserfolgen trennte sich der Verein allerdings bereits nach drei Monaten, der Ex-ÖFB-Kapitän hat trotz der kurzen Zeit dennoch einen positiven Eindruck vom heutigen Sevilla-Coach.
"Ich kann eigentlich nichts Schlechtes über die Zusammenarbeit sagen", meint er im Gespräch mit LAOLA1. Mendilibar galt bereits damals als unheimlich detailversessen. "Ich habe ihn als sehr akribischen Trainer kennengelernt", bestätigt Ivanschitz diesen Eindruck. Dabei dürfte dem Spanier auch sehr viel an dem direkten Kontakt mit der Mannschaft gelegen sein.
"Er ist sehr intensiv im Feedback, vor allem, was taktische Inhalte betrifft", erklärt der heutige Vienna-Sportdirektor.
Der damalige Levante-Übungsleiter setzte auf "sehr intensives Coaching". Am Ende folgte dennoch nach nur drei Monaten der Rauswurf. "So ist es eben im Fußball", kommentiert Ivanschitz.
Seinem Ex-Trainer wünscht er für das anstehende Finale der Europa League gegen die Roma nur das Beste. "Am Ende freut es mich natürlich, dass er mit dem FC Sevilla im Europa-League-Finale steht und vielleicht einen seiner größten Erfolge als Trainer feiern kann."
Ivanschitz glaubt dort auch fest an den FC Sevilla und seinen Ex-Coach. Er tippt für Mittwoch auf einen 2:1-Erfolg des FC Sevilla über Jose Mourinhos Roma.
Die Erfolgsformel Mendilibars
Mendilibar setzt bei den Andalusiern vor allem auf direktes Flügelspiel und versucht, den Gegner immer wieder mit Flanken aus dem Halbfeld unter Druck zu setzen.
"Wenn ich 15 Flanken in den Strafraum schlage, weiß ich, dass ich nicht alle erreichen werde, sondern vielleicht nur vier davon. Aber wenn ich von den verbleibenden elf zweiten Bällen sieben gewinne, während ich nah an der Spielsituation stehe und nach vorne verteidige, ergeben sich bereits elf Angriffe aus 15 Versuchen", erklärt Mendilibar selbst seine taktische Idee.
Dabei setzt er auf weitere entscheidende taktische Elemente. Mit gegenläufigen Bewegungen auf der Außenbahn im Offensivspiel versucht er beispielsweise, Räume in der gegnerischen Abwehr zu kreieren.
Auch die kopfballstarken Angreifer En Nesyri und Rafa Mir macht er sich zunutze, sie werden als Zielspieler mit langen Bällen bereits im Aufbauspiel bedient.
Erfolgreiche Zukunft?
Ob Mendilibar seine Erfolge in der Zukunft bestätigen wird, muss vorerst noch abgewartet werden. Auf jeden Fall hatte er beim FC Sevilla einen sehr erfolgreichen Start, ein Titelgewinn in der Europa League wäre wichtig, um auch nächstes Jahr in der Champions-League-Gruppenphase auflaufen zu können.
Trotz des einen Punktes Rückstand wird es wohl schwierg, sich am letzten LaLiga-Spieltag ein Europa-Cup-Ticket zu sichern. Aktuell befindet sich der Verein nämlich nur auf Rang elf. Vier Klubs müssten am letzten Spieltag überholt werden. Die Tabelle von LaLiga >>>
Am Mittwoch wartet aber zunächst eine packende Begegnung im Finale der Europa League. Mit Jose Mourinho und Jose Luis Mendilibar treffen zwei absolute Taktikgenies von der iberischen Halbinsel aufeinander.
Man darf zurecht gespannt sein, ob es einem der beiden gelingt, dem anderen durch einen taktisch ausgeklügelten Matchplan ein Bein zu stellen.
Das EL-Finale FC Sevilla gegen AS Roma im Liveticker (Mittwoch, ab 21 Uhr) >>>>