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FC Bayern: Wenn der Bauer vom Traktor stirbt

FC Bayern: Wenn der Bauer vom Traktor stirbt Foto: © getty

Die Geschehnisse überschlagen sich aktuell beim FC Bayern, nein, ich korrigiere, beim FC Hollywood!

Es sind Vorfälle wie zu besten Zeiten in den 90ern, die aktuell die Gazetten in und um München bis zum Erbrechen füllen.

Die Bayern werden Meister und entlassen, so viel darf gesagt sein, jene Personen, die dafür hauptverantwortlich sind: Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić.

Freilich, gespielt hat die Mannschaft und eingestellt hat sie Thomas Tuchel, dass das nunmehrige Ex-Führungsduo dafür aber den Grundstein legte, ist ebenso unbestritten. Nagelsmann-Entlassung hin oder her: In der Rückschau werden die beiden auch klüger sein und hätten sich lieber anders entschieden, wie "Brazzo" sogar offen zugab.

Doch in ihren Funktionen als Vorstandsvorsitzender und Sportvorstand war es nun einmal ihre Aufgabe, Entscheidungen zu treffen und das haben sie getan. Dennoch hat man mit Thomas Tuchel einen ausgezeichneten Coach, der - so er bleibt - auch in München Erfolg haben wird. Aber das braucht eben Zeit.

Hoeneß und Rummenigge wieder mittendrin

Man kann über ihre Abberufung denken, was man will, es lassen sich Argumente in ausreichender Zahl dafür und dagegen finden. Es gibt schon mehr als genug Experten - echte und selbsternannte - die sich darüber das Mundwerk zerreißen.

Eines aber ist sicher: Die Bayern geben ein katastrophales Bild ab, wie schon lange nicht mehr. Wie peinlich der Zeitpunkt und die Art der Kommunikation der Abberufung von Kahn und Salihamidzic war, bedarf keiner tiefergehenden Analyse. Infolgedessen artete alles in eine öffentliche Schlammschlacht aus. Das war eines deutschen Rekordmeisters höchst unwürdig, ein Laientheater höchster Güte.

Und wie immer sind die zwei "Über-Bayern" mittendrin statt nur dabei. Denn wenn Gewitterwolken über München aufziehen und Fortuna den Bayern nicht mehr hold ist, setzt man im Freistaat auf Altbewährtes. Wieder einmal sollen es Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß richten. Fast 140 Jahre geballte Lebenserfahrung, die sie zum größten Teil als Gesichter des FC Bayern gemacht haben.

Einmal mehr sollen die beiden den Karren aus dem Dreck ziehen. Wer auch sonst? Es kamen viele, es gingen viele im Lauf des letzten halben Jahrhunderts, aber die beiden sind der Inbegriff einer Konstante beim deutschen Rekordmeister.

Wohin soll der Weg nun führen? Das weiß wohl niemand so genau. Was man beim FC Bayern aber glaubt zu wissen, ist, wer die Schuld am aktuellen Schlamassel trägt: Der "Titan" und der "Brazzo" waren's. Die haben uns das eingebrockt, sagt man sich wohl.

Es müssen damit tatsächlich einmal Verantwortliche aus der obersten Führungsriege herhalten und nicht Spieler oder Trainer. Julian Nagelsmann und Juan Bernat dürften sich dabei ins Fäustchen lachen.

"Mia san Mia" einmal anders

Man bekommt als Beobachter von außen den Eindruck, dass da zwei alte Herren sind, die nicht von ihrem Liebkind lassen können. Wie der Vater, der dem Sohn nicht und nicht seine Tischlerei überschreiben will, weil "die Jungen" heutzutage zu nichts taugen.

Früher war doch alles besser. "Wir haben es die Kinder eh probieren lassen, aber schau, was rauskommt dabei" - ein Satz, der so platt ist, dass der Autor dieser Zeilen dafür umgehend einen Zehner ist Phrasenschwein stopft.

"Jetzt mach mas halt wieder selber", könnten sich "Uli" und "Kalle" denken. Die Kinder haben ein bisserl spielen dürfen, aber jetzt kümmern sich wieder die Erwachsenen darum. "Mia san mia" gilt bei den Bayern also offenbar auch für den Führungsanspruch.

Es bedarf übrigens keiner Diskussion, dass es Hoeneß und Rummenigge mit größter Wahrscheinlichkeit auch diesmal gelingen wird, die Bayern wieder da hin zu führen, wo man sie haben will: an die Spitze Deutschlands, mit Respektabstand zum Rest Fußball-Germaniens.

"Wenn man aufhört, dann sollte man das auch ernst meinen und nicht bei der erstbesten Gelegenheit wieder die Zügel in die Hand nehmen."

LAOLA1-Redakteur René Mersol

"Der Bauer übergibt seinen Hof erst, wenn er vom Traktor stirbt. Es ist zu befürchten, dass den Bayern ein ähnliches Schicksal droht."

LAOLA1-Redakteur René Mersol

Und wenn man schon dabei ist am besten auch gleich zurück an die Spitze Europas. Die Fähigkeiten der beiden will, kann und werde ich nicht in Frage stellen. Das wäre auch höchst anmaßend, sie haben den FC Bayern zu einem Weltklub gemacht, den man in jedem Winkel der Erde kennt.

Das ist hauptsächlich ihnen (und ein gutes Stück weit auch dem "Kaiser" Franz Beckenbauer) zu verdanken - Punkt!

Was ich aber zur Diskussion stelle: Wenn man aufhört, dann sollte man das auch ernst meinen und nicht bei der erstbesten Gelegenheit wieder die Zügel in die Hand nehmen.

Rummenigge & Hoeneß als "Helikopter-Daddys"

Freilich: Auf dem Papier sitzen beide "nur" im Aufsichtsrat und haben keine operative Funktion. Es ist aber schwer vorstellbar, dass sie dort nur an einem Runden Tisch sitzen und Vorschläge abnicken.

Das liegt nicht in ihrem Naturell. Und so wird es auch nicht sein, dafür kennt man sie zu gut. Das zeigt der Auftritt von Hoeneß beim Bayern-Training vor wenigen Wochen ebenso, wie das jüngste öffentliche Nachtreten des Patrons gegen den "Titan". Es sei ein Fehler gewesen, Kahn zum Vorstandsvorsitzenden zu machen.

Freilich: Daran hat auch Oliver Kahn selbst seinen Anteil. Der "Titan" galt intern alles andere als unumstritten für seinen Umgang mit seinen Mitarbeitern. Schon seit seinem Amtsantritt wurden immer wieder Vorwürfe laut, dass Kahn nicht durch übertriebene Kommunikation auffiel, was für schlechte Stimmung sorgte. Insofern ist es auch nachvollziehbar, dass Hoeneß und Rummenigge ihren Fehler korrigiert sehen wollten. 

Aber hat es ein Ehrenpräsident wirklich nötig, in den Medien gegen den wohl besten Bayern-Keeper aller Zeiten (manche mögen eventuell noch Sepp Maier davor sehen) so auszuholen? Das war vielleicht früher einmal en vouge, oder zumindest akzeptiert. Aber da ist Hoeneß sichtlich in den 90ern stecken geblieben. Es ist kein Wunder, dass wieder alle vom FC Hollywood sprechen.

Es wird dem Verein kurzfristig helfen, dass die beiden zurück sind und das Schiff wieder auf Kurs bringen.

Sie sind geborene, aber - bei allem gebotenen Respekt - alternde Kapitäne. Irgendwann wird man nicht mehr auf sie zurückgreifen können. Und bitte: Den beiden sei ein langes, glückliches und vor allem gesundes Leben in höchstem Maße vergönnt.

Denn was Kapitäne auch an sich haben, ist die Eigenschaft, das Steuer nicht loslassen zu können. Und tun sie es doch, werden sie gerne zu einer Art "Helikoptereltern" für ihr Schiff und dessen Besatzung.

Was ich sagen will ist: Man sollte in München die Gelegenheit beim Schopf packen und den Einfluss der beiden langfristig zurückdrängen. Es braucht eine klare Vision, wie es ohne Hoeneß und Rummenigge funktionieren kann.

Kahn & "Brazzo": Keine faire Chance

Denn im Endeffekt wirkt es in Rückschau viel zu sehr so, dass Kahn, aber vor allem Salihamidzic "nur" Funktionäre von Hoeneß' und Rummenigges Gnaden waren, die - und auch das gebe ich zu überlegen - vielleicht nie eine hundertprozentig faire Chance hatten.

Es braucht jemanden, der - wie sagt man es so schön - von "extern" kommt. Jemanden, der unbeeinflusst ist. Einen ohne Stallgeruch. Einen, wie ihn, um ein Beispiel zu nennen, der ÖFB mit Ralf Rangnick hat.

Ob Hoeneß, Rummenigge, Hainer & Co. dies zulassen werden, stelle ich aber massiv in Frage. Bei allem, was sie für die Bayern getan haben - dafür haben diese Leute ihren Einfluss wohl zu lieb gewonnen. Das ist nachvollziehbar, der Klub ist wie eine Art eigenes Kind für sie. Sie haben ihn großgezogen und auf diese festen Beine gestellt. Und sind eben zu "Helikoptereltern" geworden. 

Von Willy Brandt und Didi Mateschitz: Was "Uli" und "Kalle" lernen können

Loslassen ist hier wohl das Zauberwort. Oder wie es die großartige Autorin Brianna West ausdrückt: Es geht nicht darum etwas loszulassen, sondern zu akzeptieren, dass es bereits fort ist.

So sollten es auch Hoeneß und Rummenigge sehen und das Zepter nicht nur nach außen hin, sondern auch für sich selbst übergeben und abschließen. Und zwar endgültig.

Man möge sich ein Beispiel an Red Bull nehmen: Didi Mateschitz hatte seine Nachfolge und wie es mit seinem “Baby” weitergehen soll, frühzeitig geregelt und sein Imperium ist in guten Händen.

Diesen Eindruck hat man beim deutschen Rekordmeister nicht. Zu präsent sind die beiden Galionsfiguren nach wie vor. Oder wie kann es sonst interpretiert werden, dass ein Uli Hoeneß unangekündigt beim Bayern-Training auftaucht und Thomas Tuchel Ratschläge erteilen will?

Der FC Bayern München braucht eine nachhaltige Vision, die ohne die beiden verdienten Altmeister auskommt und auch beinhaltet, dass sie in Zukunft, wenn das Schiff wieder auf Kurs ist, nichts mehr zu sagen haben.

Denn immer wieder die Legenden-Karte zu spielen, macht beim Poker im Grand Casino Profifußball keinen schlanken Fuß.

Es gilt, alte Gewohnheiten zu durchbrechen und wegzukommen von Schema F.

Wie sagte es Willy Brandt einst so treffend: "Mehr Demokratie wagen." Das aktuelle System hat die Bayern zu großen Erfolgen geführt. Aber es kann nur fruchtbar sein, sich auch einmal Expertise von außerhalb zu holen und unvoreingenommene Fachleute mitreden zu lassen.

Die Bayern sind ein großer Verein und haben freilich schon weit Schlimmeres durchgemacht, als das, was aktuell passiert - so vieles auch schief gelaufen sind mag in den letzten Monaten.

Und immerhin ist man ja trotzdem deutscher Meister geworden. Es scheint aber, als zähle der elfte Titel in Folge gar nicht richtig. Zu sehr wird er von den Ereignissen überschattet.

Das ist nicht nur schade, sondern unnötig. Und dafür sind auch Hoeneß und Rummeingge mitverantwortlich. Zeit also, dass sich etwas ändert.

Und was, wenn es gut wird?

Die Hoffnung, dass es so kommt, ist aber gering. Dort, wo der Autor dieser Zeilen herkommt, sagt man: Der Bauer übergibt seinen Hof erst, wenn er vom Traktor stirbt. Es ist zu befürchten, dass den Bayern ein ähnliches Schicksal droht.

Es wäre diesen beiden charismatischen Persönlichkeiten nicht würdig. Doch sie scheinen sich bei jeder Übergabe ihrer Agenden angstvoll zu fragen: “Was, wenn es schief läuft?”. Gegenfrage: Und was, wenn es gut wird? Das wäre ein deutlicher positiverer Ansatz - und würde wohl auch das Loslassen erleichtern.

Die Hoffnung stirbt zuletzt und hoffentlich nicht mit dem Bauern vom Traktor.


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