AUSGANGSLAGE:
Im Vorfeld war man bemüht, sich gegenseitig die Favoritenrolle zuzuspielen. Für Aleksandar Dragovic ist Serbien der Favorit, Serbiens Teamchef Slavoljub Muslin wiederum meint: "Sie können die Favoritenrolle haben. Uns reicht es, Außenseiter zu sein." Die Diskussion, ob es bereits eine richtungsweisende Partie sei, erübrigt sich im Prinzip. In einer Qualifikation, noch dazu in einer vermutlich engen Gruppe, ist jeder Showdown zweier Aspiranten auf den Gruppensieg richtungsweisend.
Serbiens Kapitän Branislav Ivanovic bestätigt: "Das Match mit Österreich ist von unglaublicher Bedeutung für die ganze Qualifikation. Ein Sieg wäre ein großer Schritt. Das Spiel könnte der entscheidende Augenblick für die beiden Mannschaften sein."
Koller ist bemüht, vorzubauen und betont, dass man auch im Fall eines Sieges noch nicht durch sei. Selbiges gilt wohl auch für eine Niederlage, dann wäre die Quali noch nicht gelaufen. Ein Sieg in Belgrad brächte jedoch wohl mehr als Bonuspunkte, denn auch dem Schweizer ist bewusst: "In einer Qualifikation ist es wichtig, dass man auch auswärts einen Dreier einfährt, wenn man oben dabei sein will." Ob vorentscheidend oder nicht, ob richtungsweisend oder nicht, eines steht zumindest für ÖFB-Kapitän Julian Baumgartlinger fest: "Es wird auf jeden Fall ein Topspiel. Davon bin ich überzeugt."
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
PERSONAL-POKER:
Das größte Rätselraten in der rot-weiß-roten Aufstellung bringt ein unfreiwilliger Poker mit sich. Robert Almer wäre normal gesetzt, der Goalie musste gegen Wales jedoch bekanntlich mit einer Wadenverhärtung ausscheiden. Seither geriet die Frage seines Einsatzes zum Wettlauf gegen die Zeit. Dass der Steirer das Abschlusstraining auslassen musste, ist kein gutes Indiz. Erfahren wird man des Rätsels Lösung wohl erst 90 Minuten vor dem Ankick. Genau wie die restliche Aufstellung.
"Wir werden nicht alles auf den Kopf stellen", kündigt Koller an. Keine Überraschung, das hat er bis jetzt in Pflichtspielen noch nie getan. Nicht auszuschließen ist, dass er aus körperlichen oder taktischen Gründen punktuelle Änderungen vornimmt. Dass Kevin Wimmer eine erneute Chance als Linksverteidiger bekommen könnte, ließ der Teamchef bereits nach dem Wales-Spiel durchblicken. Egal ob der Tottenham-Legionär oder Markus Suttner: Links hinten in der Viererkette gilt es Serbiens "Mann der Stunde", den rechten Flügelflitzer Dusan Tadic, zu entschärfen. Einen Einsatz von Beginn an des von der Öffentlichkeit immer wieder geforderten Alessandro Schöpf schloss Koller zumindest nicht aus: "Das ist möglich. Er hat jetzt auch immer wieder gezeigt, dass er noch einmal etwas bewegt, wenn er reinkommt. Das ist auch wichtig, das nimmt man in die Überlegung mit rein."
ARNAUTOVIC ALS "BEDROHUNG":
Keine Gedanken muss man sich bezüglich einer Startelf-Nominierung von Marko Arnautovic machen, der nach seinem Doppelpack gegen Wales mit noch mehr Selbstvertrauen vollgepumpt in das Kräftemessen mit der Heimat seines Vaters geht. Elegant umschiffte Koller bei der Abschluss-Pressekonferenz die neugierige Nachfrage eines serbischen Journalisten, wie hilfreich Arnautovic und Dragovic als Spione und Lieferanten von Informationen über das serbische Team seien.
Die Antwort liegt in Wahrheit ohnehin auf der Hand. "Ich weiß so einiges über den serbischen Fußball", rühmt sich Arnautovic, "diese Fußballer haben Riesen-Qualität, das ist eine Riesen-Mannschaft. Die haben auch einiges vor und haben dementsprechenden Druck. Vor ein paar Tagen habe ich gelesen, dass ein Spieler gesagt hat, es sei das schwierigste Spiel in dieser Gruppe." Die Serben wiederum werden von der jüngsten Heldentat des Stoke-Legionärs gelesen haben. Vielleicht aber auch von Kollers Meinung, dass beim 27-Jährigen noch mehr drinnen sei. Eine Einschätzung, die Arnautovic unterschreibt: "Man kann immer Kleinigkeuten verbessern. Gegen Wales hatte ich etwa auch die Chance, das dritte Tor zu machen."
Ivanovic zieht aber auch schon nach dem Doppelpack seinen Hut: "Ich habe große Achtung vor Arnautovic. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat er große Fortschritte gemacht, ist als Spieler gereift und war in manchen Momenten über dem Niveau der Mannschaft, in der er spielt. Er kann das Spiel entscheiden und wird die größte Bedrohung für unser Tor sein."
OUT IST OUT:
"Das war Zirkus!", ärgerte sich Arnautovic, Almer fühlte sich an Frankreich erinnert. Das jüngste Problem bei weiten gegnerischen Outeinwürfen ist definitiv ein Ärgernis. Schon bei der EURO kassierte man so gegen Island ein Gegentor, gegen Wales verteidigte man erneut denkbar ungeschickt. "Solche Sachen sind extrem ungut zu verteidigen, weil die Stürmer aus volem Lauf kommen, aber da müssen wir dagegenhalten", fordert Florian Klein, der nach der Pause gegen die Waliser diesbezüglich bereits eine Besserung ausgemacht hat.
Koller ärgerte schon in Georgien das Verhalten bei Standards, als man nicht nah genug am Mann war. "Da können wir vom Fußball auf der Insel noch einiges lernen, wie nah die dran sind und das ganze Körpergewicht reinhauen." Man darf jedenfalls gespannt sein, wie gezielt Serbien diese Schwäche als potenziellen Ansatzpunkt auserkoren hat. Aber würde es jemanden überraschen, wenn man die ÖFB-Elf gleich früh in der Partie mit einigen langen Einwürfen testen würde?
SERBIENS TURNIER-FLUCH:
2010 schaffte Serbien den Sprung zur WM in Südafrika und eliminierte auf dem Weg dorthin Österreich. Ansonsten ging in der jüngeren Vergangenheit wenig bezüglich Turnier-Teilnahmen. Ein Umstand, der Koller angesichts des zur Verfügung stehenden Personals verwundert: "Ich denke, dass Serbien eine sehr gute Mannschaft ist. Es ist wahrscheinlich nicht nur für sie selber, sondern auch für mich als Außenstehenden überraschend, dass sie nicht öfters bei Endrunden mit dabei sind, weil sie individuell sehr starke Spieler haben, die eigentlich auch überall in Europa bei Top-Vereinen spielen. Sie zeigen immer wieder, dass sie individuelle Technik haben, sehr gefährlich sind und Tore schießen können." In der vergangenen EM-Qualifikation konnten in acht Spielen nur zwei Siege und ein Unentschieden eingefahren werden. Andererseits krönte sich Serbiens U20-Team 2015 zum Weltmeister, während jene des ÖFB im Achtelfinale gegen Usbekistan hinausflog. Dass Serbien wieder am aufsteigenden Ast ist, bestreitet wohl niemand.
AUSWÄRTS-SERIE:
Geschichten über die notorische Auswärtsschäche des ÖFB-Teams konnte man als Nationalteam-Reporter rund ein Jahrzehnt lang mehr oder weniger auswendig zu Papier bringen, so fest verankert waren sie im Repertoire. Lange, lange ist's her. Die letzte Niederlage in der Fremde setzte es vor beinahe auf den Tag genau drei Jahren, als Österreich am 11. Oktober 2013 in Schweden denkbar bitter mit 1:2 verlor und der Traum von der Teilnahme an der WM 2014 in Brasilien geplatzt ist.
Seither ist der genau gegenteilige Trend zu beobachten, und zwar auf beinahe unheimliche Art und Weise. Acht Auswärtsspiele, acht Siege - eine vergleichbare Serie gab es in der Geschichte des österreichischen Fußballs noch nicht, und das mit dem imposanten Torverhältnis von 22:6. Dass Matches im Ausland keine Sieg-Garantie mit sich bringen, zeigte die EURO, aber diese drei Spiele sind offiziell Partien auf neutralem Boden. Serbien ist fraglos keine niedrige Hürde für die Fortsetzung des Auswärts-Erfolgslaufs. Aber im Idealfall heißt es Sonntagabend: Alle Neune!
Die Auswärtsserie im Überblick:
Datum | Gegner | Bewerb | Resultat |
---|---|---|---|
15. Oktober 2013 | Färöer | WM-Qualifikation | 3:0 |
3. Juni 2014 | Tschechien | Freundschaftsspiel | 2:1 |
9. Oktober 2014 | Moldawien | EM-Qualifikation | 2:1 |
27. März 2015 | Liechtenstein | EM-Qualifikation | 5:0 |
14. Juni 2015 | Russland | EM-Quaifikation | 1:0 |
8. September 2015 | Schweden | EM-Qualifikation | 4:1 |
9. Oktober 2015 | Montenegro | EM-Qualifikation | 3:2 |
5. September 2016 | Georgien | WM-Qualifikation | 2:1 |
(K)EIN HEXENKESSEL:
Ist das "Marakana" voll, kann es eine unglaubliche Energie von den Zuschauerrängen freisetzen. Das kann jeder bezeugen, der beim letzten rot-weiß-roten Gastspiel im Juni 2009 im Stadion war. Bei der damaligen 0:1-Niederlage feierten diverse Fans leider kein friedliches Fußball-Fest, sondern schossen Raketen in den österreichischen Fansektor. Rund 50.000 Anhänger waren damals im Stadion. Wie hitzig es diesmal zugehen wird, bleibt vorerst ein Rätsel. Beim WM-Quali-Auftakt gegen Irland pilgerten nur 10.000 Fans in die Heimstätte von Roter Stern, diesmal werden rund 20.000 Zuschauer erwartet.
Wie viele Zuschauer auch immer kommen, dem ÖFB-Team ist es egal. Die Skepsis bezüglich des eigenen Nationalteams ist in Belgrad allseits spürbar. Die Worte erinnern teilweise an jene in Österreich über das ÖFB-Team vor der Amtszeit Kollers. Der verspielte Kredit durch die verpassten Qualifikationen der vergangenen Jahre scheint das Vertrauen in einen nachhaltigen Aufwärtstrend vorerst noch zu besiegen. Zudem sei das Nationalteam im Umland beliebter als in der Hauptstadt, in Belgrad würden vor allem Roter Stern und Partizan zählen, wie ÖFB-Reisebegleiter Zeljko behauptet. "Die Menschen in Belgrad sind faul, genau wie die Wiener", lautet seine wenig schmeichelhafte Diagnose. Wenigstens hat er bei dieser Aussage schlitzohrig gegrinst.
ERINNERUNGEN AN EINE DENKWÜRDIGE PARTIE:
Trotz Niederlage mit einem breiten Grinsen verließ Aleksandar Dragovic vor sieben Jahren nach seinem ÖFB-Debüt (1000 Dank an Constantini) "sein" Marakana. Nicht nur deshalb oder wegen der denkwürdigen Atmosphäre ist es eine erinnerungswürdige Partie. Andere ÖFB-Kicker waren dem Tiroler weniger zu Dank verpflichtet. So war es etwa der einzige Auftritt von Martin Stranzl in der Teamchef-Ära von Constantini, nach diesem Kennenlernen erfolgte der Rücktritt des Burgenländers.
Eine Rechnung offen mit dem Marakana dürfte wiederum Marc Janko haben, und das nicht nur wegen seines Latten-Treffers in dieser Begegnung. Denn zu Spielbeginn fand sich der Goalgetter überraschend nur auf der Bank wieder - und das wohlgemerkt am Ende seiner legendären 39-Tore-Saison für Red Bull Salzburg. Seinen Grant über die Personalentscheidung Constantinis wollte er damals nicht wirklich verbergen und gab auch offen zu, dass er "angefressen" sei: "Ich war natürlich überrascht. Wenn man nach so einer Saison nicht gut genug für die Startelf der Nationalmannschaft ist, dann hat mich das schon ein bisschen verwundert." Zumindest hatte der Niederösterreicher konkrete Urlaubspläne: "Jetzt einmal entspannen und dann probieren, noch bessere Leistungen zu bringen, damit ich vielleicht einmal gut genug für die Startelf bin." Inzwischen hat Janko seine Qualitäten im Nationalteam schon oftmals bewiesen, gerade in der Ära Koller blühte er so richtig auf und war auch in schlechten Vereins-Phasen gut genug für die ÖFB-Startelf. Wünschenswert wäre, wenn er sich sein Tor in Belgrad damals einfach nur aufgehoben hat. Es wäre eine gelungene "Revanche".
Österreich spielte 2009 übrigens mit folgender Aufstellung: Michael Gspurning - Franz Schiemer, Martin Stranzl, Aleksandar Dragovic, Manuel Ortlechner - Andreas Hölzl (66., Stefan Lexa), Paul Scharner, Yasin Pehlivan, Jakob Jantscher - Erwin Hoffer (56., Marc Janko), Stefan Maierhofer (55., Rubin Okotie)
Peter Altmann