Die Überraschung hielt sich natürlich in Grenzen, doch am Sonntag wurde es so "eindrucksvoll" wie noch nie belegt: Red Bull Salzburg ist zum Selbstbedienungs-Laden von Ralf Rangnick geworden. Christoph Freund kann dem im LAOLA1-Interview wenig entgegnen. Auf die Frage, ob denn die Hände der Verantwortlichen gefesselt seien, wenn Leipzig einen Salzburg-Spieler haben will, antwortete der 39-Jährige: „Gefesselt sind sie nicht, aber es gibt natürlich Prioritäten.“ Und die liegen eben nicht beim Meister aus Österreich, sondern beim deutschen Aufsteiger aus Leipzig. Wenn Rangnick einen Spieler braucht, greift er vorwiegend in Salzburg zu. Binnen 15 Monaten wechselten vier Stammspieler von Salzburg nach Leipzig (Gulacsi, Ilsanker, Keita, Bernardo).
Im Normalfall handelte es sich hier um Spieler, die in Salzburg quasi fertig waren. Die für den nächsten Schritt – sprich größere Liga bereit – sind. Aber im Sonderfall Bernardo ist das anders. Und es spricht auch nicht für Rangnick und seine Kaderplanung in Leipzig, dass er zum jetzigen Zeitpunkt so einen Spieler am Tag des Liga-Auftakts verpflichtet. Rangnick hat vor Saisonstart einen Spieler gesucht, der Innenverteidiger spielen kann. Martin Hinteregger gab ihm – zu dessen völliger Verwunderung (wie kann man nur...?) – einen Korb, so wurde es Defensiv-Allrounder Bernardo, der gerade erst acht Monate in Salzburg und in dieser Saison absoluter Stammspieler war. Der 21-Jährige wollte im Gegensatz zu Hinteregger auch nach Leipzig.
Wie egal kann einem der Partner-Klub eigentlich sein?
Der Wahnsinn – anders kann man das wirklich nicht mehr nennen – liegt dabei aber im Detail: Eine Stunde und zwölf Minuten (!) vor dem Gastspiel bei Rapid – dem Dauerrivalen und Hauptkonkurrenten um den Titel – wurde dieser Transfer seitens Leipzig kommuniziert. 51 Minuten (!!) vor Anpfiff folgte Salzburg, das gerade erst ein neuerliches CL-Trauma verarbeiten musste und eine schwierige Aufgabe vor der Brust hatte.
Somit stellt sich automatisch die Frage: Wie egal kann einem der Partner-Klub eigentlich sein? Sehr, wie es scheint. Das zeigte ja auch der Keita-Deal. Immer wieder wird mir dieselbe Geschichte zugetragen: Schon länger stand nämlich fest, dass Keita zu Leipzig gehen würde. Bereits im Mai. Die einzige offene Frage bezog sich auf den Zeitpunkt: Die drei Parteien vereinbarten anfangs, jenen nach der Salzburger CL-Qualifikation zu wählen, ehe eine jedoch auf die Änderung dieser Vereinbarung drängte. Und so machte Keita doch die gesamte Vorbereitung in Leipzig mit, anstatt wie – gebetsmühlenartig von Freund und General Manager Jochen Sauer vorgetragen – mit Salzburg in die CL-Quali zu gehen.
Das ist ihr Pech und deswegen stehen sie in der Öffentlichkeit so da, wie sie da stehen – nicht wenige bezeichnen sie als Marionetten von Ralf Rangnick. Aber was sollen sie auch machen? Sie haben ihren Job schließlich auch von Rangnick bekommen. Der hat alle Schlüsselpositionen in Salzburg und Leipzig mit „seinen“ Leuten besetzt. Sauer kam 2012 wenige Monate nach Rangnicks Antritt nach Salzburg, Freund war die rechte und linke Hand Rangnicks in dessen Zeit in Salzburg. In Leipzig ist Oliver Mintzlaff Vorstandsvorsitzender. Zudem ist der 41-Jährige „Head of Global Soccer“ bei Red Bull, also verantwortlich für alle Fußball-Standorte von Red Bull. Natürlich auch jenem in Salzburg.
Mintzlaff war etwa im Sommer-Trainingslager in Leogang bei den österreichischen „Bullen“ zu Gast und früher im Marketingbereich tätig. Als Mitglied von „Ferber Marketing“ managte Mintzlaff – richtig – Ralf Rangnick. Nun ist er Vorstandsvorsitzender in Leipzig und verantwortlich für Salzburg? Das geht in der Welt von Ralf Rangnick und Red Bull - kurz Ralf Bull.
Ebenso, wie den FC Liefering – Rangnicks liebstes Fußball-Team im „Haus“ – in der Ersten Liga spielen zu lassen. Eigentlich nicht möglich, umgingen die Verantwortlichen vor und während der Amtszeit von Rangnick in Salzburg die Richtlinien und haben nun ein Farmteam in der zweithöchsten Spielklasse. „Liefering B“, wie Salzburg-Trainer Oscar Garcia nun dazu sagt. Dem zufolge wäre sein Team nun „Liefering A“. Apropos Garcia: Der Spanier ließ mit seinen Aussagen in den vergangenen Tagen aufhorchen, sagte etwa auch im ORF-Interview: „Man hat mir gestern mitgeteilt, es gäbe ein neues Ziel, wir sind jetzt mehr ein Ausbildungs-Team." Jetzt erst?
Stellen sich weitere Fragen: Was hat sich Oscar Garcia gedacht, als er hier angetreten ist? Warum hat er dann seinen Vertrag vorzeitig bis 2018 verlängert? Der Katalane, der in regelmäßigen Abständen – mal subtiler, mal weniger subtil – die Kaderzusammenstellung bekrittelt, hat sich dazu bekannt, seine Spieler (die wegen ihm nicht nach Leipzig gegangen sind) nicht im Stich zu lassen.
Eine lange Ära wird das in Salzburg allerdings mit Sicherheit auch nicht. Man hat sich mehr als einmal und mit Nachdruck und Taten als Ausbildungsverein deklariert, dafür braucht es auch einen Ausbildungstrainer. Adi Hütter wollte es nicht sein, Peter Zeidler konnte es nicht sein, Garcia wird es nicht für immer sein. Thomas Letsch, der sich vom Nachwuchs-Coach bis zum Liefering-Trainer hinaufgearbeitet hat, wurde unter Ralf Rangnick von Ernst Tanner, der mit Rangnick gemeinsam in Hoffenheim gearbeitet hat, 2012 zum sportlichen Leiter in der Akademie gemacht.
Interimistisch folgte Letsch bereits Peter Zeidler für zwei Spiele als RBS-Coach und war somit schon Vorgänger von Oscar Garcia. Vielleicht wird er (bald) auch sein Nachfolger, sollte dem Spanier die Rolle des Ausbildungs-Trainers keinen Spaß mehr machen oder er sich auch weiter zu solchen vereinsschädigenden Aussagen wie Liefering A, Liefering B hinreißen lassen.
Letsch wäre es auch schon gewöhnt, vor wenigen Zuschauern zu spielen. Denn das wird auf Salzburg zukommen. Dass Spieler ausgebildet und verkauft werden, ist das eine und noch nachvollziehbar. Aber es geht um das Wie - und das stößt den Fans mittlerweile gehörig sauer auf. Nach Keita nun auch Bernardo. Die Art und Weise, wann und wie Salzburg Spieler an Leipzig abgibt, hat dabei ein Mann zu verantworten: Ralf Rangnick. Und dem geht es logischerweise nur um eines. Dort Erfolg zu haben, wo er gerade ist. Und das ist in Leipzig. Das ist seine Welt von Red Bull.