In Baku ist Kaltenborn nicht aufgetaucht. Dabei hatte sie in einem am Montag um 16.16 Uhr verschickten Mail erwähnt, dass sie am Sonntag nach dem Rennen Journalisten für Interviews im Teambereich zur Verfügung stehen werde. Und noch am Dienstag um 16.23 Uhr kommunizierte Kaltenborn ebenfalls per E-Mail die neue Zusammenarbeit mit dem niederländischen Unternehmen Additive Industries als Technology Partner ab dem 1. Juli. Gemäß diversen Internet-Portalen soll sie sich am Dienstag bei den Leuten vom Formel-1-Rechteinhaber FOM verabschiedet haben.
Kaltenborn unter besonderer Beobachtung
2012 war Kaltenborn als erste Frau an die Spitze eines Formel-1-Rennstalls gerückt, als Gründer Peter Sauber den Posten an sie übergab. Zuvor war die Juristin von der Rechtsabteilung des Teams zur Geschäftsführerin aufgestiegen und hatte später auch 30 Prozent der Anteile an Sauber übernommen.
Leicht hatte es die in Indien geborene Kaltenborn in ihrem Job nie. In ihrer Amtszeit geriet das Privatteam finanziell und sportlich in Schieflage. Der Tiefpunkt war 2015 erreicht, als Sauber in den Tagen vor dem Saisonstart in Australien vor einem Gericht in Melbourne einen bizarren Streit ausfechten musste, weil das Team offenkundig drei Fahrer für nur zwei Cockpits engagiert hatte. Am Ende musste der Rennstall Millionen als Abfindung an den Niederländer Giedo van der Garde bezahlen. Ausgerechnet die Juristin Kaltenborn machte in dem Zwist keine gute Figur.
Weil Sauber auch sportlich seit Jahren zumeist hinterherfährt - die einzigen vier Punkte in der diesjährigen WM erreichet der Deutsche Pascal Wehrlein Mitte Mai als Achter in Montmelo -, musste sich Kaltenborn immer wieder unangenehmen Fragen stellen. In der von Männern dominierten Formel 1 stand die Mutter von zwei Kindern von Beginn an unter besonderer Beobachtung, auch wenn bei Williams zuletzt Claire Williams als Vize-Teamchefin ebenfalls faktisch die Geschäfte an der Rennstrecke führte.
Obwohl es weder von Sauber noch vom Eigentümer Longbow eine Bestätigung für die Trennung gab, blühten in Baku schnell die Gerüchte um die mögliche Nachfolge von Kaltenborn. Als Favorit wurde der Deutsche Colin Kolles genannt. Der 49-jährige Zahnarzt war bereits Teamchef bei mehreren kleinen Formel-1-Rennställen, derzeit engagiert er sich im Langstreckensport.