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"Sein Haus war hier, sein Herz war in Österreich"

LAOLA1 Foto: ©

"Ich sage immer zu Caroline: Du musst gut Fußball spielen, denn Toni schaut zu", grinst Hans Fritsch.

Wer mit Toni gemeint ist, weiß vermutlich jeder österreichische NFL-Fan und auch viele Fußball-Fans: "Wembley-Toni" Fritsch, Österreichs erster Super-Bowl-Champion, der 2005 im Alter von 60 Jahren viel zu früh verstorben ist.

Hans Fritsch ist sein Sohn, Caroline die Enkelin.

Die Fritsch-Familie lebt in The Woodlands, rund 45 Kilometer von Houston, dem Austragungsort von Super Bowl LI, entfernt.

LAOLA1 hat sie gemeinsam mit den Kollegen von Puls4, auf deren Bericht ich mich angesichts der tollen Bilder, die wir bekommen haben, bereits freue, und der Krone besucht und dabei drei Generationen an Fritschs kennengelernt.

In der aktuellen Ausgabe meines Super-Bowl-Tagebuchs finden sich zur Einstimmung auf die folgenden Zeilen diverse Impressionen dieses Trips:


Treffpunkt ist eine riesige Parkanlage mit zahlreichen Fußball-Plätzen. Caroline hat ein Match, die restliche Familie hat sich versammelt, um sie anzufeuern.

Das sind neben Hans seine Frau Jennifer, die ältere Tochter Taylor und Sonja, die frühere Ehefrau von Toni, die gemeinsam mit dem damaligen Rapid-Kicker den Sprung in die USA zu den Dallas Cowboys gewagt hat.

"Es war zu kurz, aber er hatte ein gutes Leben"

Es war der 2. Juli 1971, als das Ehepaar Fritsch gemeinsam mit dem fünfjährigen Hans am Flughafen in Dallas landete und zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht ahnte, wie sehr dieses Abenteuer ihr restliches Leben verändern würde.

Toni lebte den American Dream.

"Wisst ihr, was ich an Toni mochte: Er hat immer gesagt, finde eine Arbeit, die du liebst und du wirst dein ganzes Leben nie mehr arbeiten. Er hat etwas gefunden, das er liebte und hat nie gearbeitet", erzählt Hans.

Dies ist wohlgemerkt die druckreife Erläuterung der eigentlichen Grundaussage Tonis, die da lautete: "Hackeln is oasch!"

Hans lacht sich kaputt, wenn er an diese Aussage seines Dads denkt. Mit starkem US-Akzent zitiert, klingt diese urösterreichische Floskel gleich noch charmanter, als sie vermutlich aus dem Munde Tonis geklungen hat.

Jüngere Leser, die bezüglich Toni Fritsch kein Bild mehr vor Augen haben, sei folgendes Youtube-Interview von Walter Reiterer mit ihm ans Herz gelegt. Es war sein letztes, zwei Tage später verstarb er in Wien an einem Herzinfarkt.

"Ganz ehrlich: Er hatte ein gutes Leben. Es war zu kurz, aber er hat viel reingepackt", sagt Hans gut ein Jahrzehnt später.

"Er wollte die US-Staatsbürgerschaft nicht annehmen"

Aus der Perspektive von Toni kennen viele vermutlich seine Story. Aus der Perspektive seiner Familie, und das gleich von drei Generationen, klingt sie wiefolgt:

Da wäre einmal Sonja, die mit ihrem Ehemann den Neustart im Land der unbegrenzen Möglichkeiten gewagt hat, sich bestens eingefunden hat und nie die Sehnsucht verspürte, in ihre Heimat zurückzukehren.

"Das ist sehr geschwind gekommen. Ich war mit Hans auf Mallorca. Als ich retour gekommen bin, fragt Toni: 'Willst du nach Amerika gehen?' Ich habe gesagt: 'Ja, warum net? Versuchmas!' Wir sind hierher gekommen und er hat seine Arbeit gemacht - Field Goals", sagt die gebürtige Mistelbacherin, die auch nach viereinhalb Jahrzehnten fern der Heimat immer noch hervorragend Deutsch, freilich mit starkem englischen Akzent, spricht.

Eine Art Rückversicherung gab es freilich: "Ich habe ja nicht einmal gewusst, was Football ist. Aber ich mag es, wenn man etwas Neues probiert. Ich finde, man muss im Leben Dinge ausprobieren. Und wir hätten ja jederzeit retour gehen können. Wir haben das Apartment in Wien nicht aufgegeben. Hätte es nicht funktioniert, dann gemma halt wieder retour. Außerdem haben die Dallas Cowboys zu der Zeit mehr bezahlt als Rapid."

Das ist tendenziell auch heute noch so.

Sonja erlitt nicht das typische Schicksal einer Spielerfrau, die sich im Ausland nicht zurechtfindet, während der Gatte Karriere macht. Im Gegenteil: Bereits nach fünf Jahren entschloss sie sich, die US-Staatsbürgerschaft anzunehmen: "Die Dallas Cowboys haben die ganze schwere Arbeit gemacht, aber der Toni wollte das nie machen, weil er Österreich viel zu nahe stand. Er wollte das einfach nicht aufgeben. Er ist jedes Jahr nach Österreich retour gekommen. Er hat sein Land geliebt, das ist mal sicher. Weil der Toni nicht Amerikaner geworden ist, konnte Hans mit 18 Jahren die Staatsbürgerschaft annehmen."

Im Hotel mit Elvis

Dabei wuchs Hans im Prinzip in Texas auf. Er wurde zwar in Wien geboren, kam jedoch als Fünfjähriger in die USA. Seine Erinnerung an die Übersiedlung auf einen anderen Kontinent:

"Ich wusste, dass irgendetwas passiert. Wir haben keine Möbel mitgenommen, sie haben gesagt: Alles in einen Koffer. Ich bin eingeschlafen. Das Erste, was ich nach dem Aufwachen gesehen habe: Dallas Love Field, der Airport. Ich habe mir gedacht: Wo sind wir hier? Jeder redet, aber du verstehst nichts. Aber ich habe schnell gewusst, dass es mir hier gefallen würde. Denn wir waren in einem Hotel und da waren überall Mädchen. Später habe ich herausgefunden, dass Elvis in diesem Hotel für eine Woche im Penthouse war und ich habe mir gedacht: Allllllriiiiiight!"

Das ist Hans. Hans hat gerne einen flotten Spruch auf den Lippen, also ganz der Papa.

Hans arbeitet als Educational Consultant. Eine Sport-Karriere stand nie im Raum. Im Nachhinein bereut er, dass er es nicht im Fußball, sondern lieber im Football probiert hat: "Aber ich bin zu klein und zu kurz. Das ist nicht gut im American Football, das kann gefährlich sein."

Dass er nicht in die großen sportlichen Fußstapfen seines Vaters treten konnte, nimmt er locker: "Das ist dasselbe Problem wie bei Michael Jordan und Michael Jordans Sohn. Das geht nicht automatisch. Toni hatte einfach das gesamte Paket."

Wie es denn gewesen sei, mit einem Super-Bowl-Champion als Dad aufzuwachsen? "Als ich jünger war und bei anderen Kindern gespielt habe, und Toni kam im Fernsehen, habe ich immer gefragt: 'Und wann kommt dein Vater im Fernsehen?' Der war Anwalt. Ich habe mir aber nichts dabei gedacht. Ich habe geglaubt, es ist normal, dass Väter im Fernsehen sind. In diesem Alter weißt du es nicht besser, das kommt später."

Stolz erzählt Hans heute von jenem Team der Dallas Cowboys, mit dem Toni im Jänner 1972 Super Bowl VI gewann. Vom legendären Head Coach Tom Landry, der die Cowboys 29 Jahre lang betreute. Oder von Roger Staubach, dem berühmten Quarterback.

"Ich habe viele Cowboys der 70er kennengelernt, aber ich hatte damals keine Ahnung, wer diese Männer sind", grinst Hans 45 Jahre später, "Toni hat mir später erzählt, dass ich mit Staubach Bälle geworfen hätte."

"Kick ball, get check"

Fünf Saisonen lang war Fritsch ein Teil von America's Team, ehe ihn Dallas vor der Saison 1976 zu den San Diego Chargers tradete. Dort blieb er nur ein Jahr, ehe er für fünf Jahre bei den Houston Oilers anheuerte. 1982 ließ er seine NFL-Karriere bei den New Orleans Saints ausklingen.

Die Ausflüge nach San Diego und New Orleans machte die Familie jeweils nicht mit, sondern blieb in Texas.

Für Hans ist es im Rückspiegel die goldrichtige Entscheidung gewesen, die Karriere als Fußballer sausen zu lassen und dafür das in Europa damals weitestgehend unbekannte Experiment NFL zu wagen - damals steckte selbst die Super-Bowl-Ära noch in ihren Kinderschuhen.

"Er hat seine Karriere verlängert. Er war 26 und hatte schon zwei Knieoperationen. Dann hat er herausgefunden, er muss den Ball nur ein Mal schießen und sie bezahlen dich für sowas", lacht Hans. Oder wie es Toni gesagt hätte: "Kick ball, get check!"

Bis in die hohen 30er hätte Toni als Profi in Europa wohl nicht seiner Arbeit nachgehen können. Die Basis für das restliche Leben war der Fußball dennoch. Vor allem der 20. Oktober 1965, als er Österreich im Wembley-Stadion mit zwei Toren zum sensationellen Auswärtssieg gegen England schoss - bei seinem Länderspiel-Debüt wohlgemerkt.

"Es gibt für Menschen oft Momente, die alles verändern. Manchmal hast du im Leben nur eine Chance, und das war sein Glücksmoment. Dieser eine Moment hat sein Leben verändert, und das wusste er", sagt Hans.

Der "Wembley-Toni" war geboren.

So ganz ließ ihn der Fußball - und speziell die Heimat - nie los. "Er hat immer gesagt: 'Hütteldorf! Hütteldorf! Du musst einmal nach Hütteldorf gehen!' Ich habe mir immer gedacht, wie dieses Hütteldorf wohl aussieht", berichtet Hans von der Liebe seines Vaters zu seinem Stammverein Rapid. Hans war inzwischen natürlich längst in Hütteldorf zu Besuch.

"Er hat seine Ringe geliebt"

Wie es früher generell regelmäßig über den großen Teich ging, inzwischen jedoch nur noch alle paar Jahre. Wie Mutter Sonja berichtet auch der Sohnemann, dass Toni die alte Heimat nie losgelassen hat. Er pendelte schließlich auch regelmäßig zwischen Österreich und Texas. Zu Hause wurde früher Deutsch gesprochen, das war ihm wichtig.

"Das Haus war hier, das Herz war in Österreich", sagt Hans, der es auch für völlig in Ordnung befindet, dass Toni seine letzte Ruhestätte zu Hause in Petronell gefunden hat ("Ich bin sicher, das wollte er so"). Dass er keinen Zugriff auf das Grab hat, da es der letzten Lebensgefährtin seines Vaters gehört, und dieses in seinen Augen nicht würdig gepflegt wird, schmerzt ihn jedoch spürbar:

"Es ist furchtbar, aber ich kann nichts machen, weil es nicht mein Grab ist. Zum zehnten Todestag wollte ich es kaufen und deswegen mit dem Pfarrer sprechen, aber er hat nicht zurückgerufen. Diese Frau hat erneut bezahlt und jetzt gehört es ihr wieder für zehn Jahre. Das ist ein Wahnsinn! Wenn du das Grab anschaust, geniere ich mich, ehrlich!"

Ebenso schmerzt es Hans, dass die Super-Bowl-Ringe weg sind. Der Inhaber des Lokals, nach dessen Besuch Toni einen Herzinfarkt erlitt, würde laut Hans schwören, dass er zu diesem Zeitpunkt seine Ringe noch bei sich hatte. Als Hans zwei Tage später eintraf, waren sie weg.

"Er hat seine Ringe geliebt. Das war sein ganzer Stolz", sagen Sonja und Hans unisono.

Wobei man die Mehrzahl aufklären sollte. Der Glaube, dass Fritsch die Super Bowl zwei Mal gewonnen hat, hielt sich lange, tendenziell auch durch seine eigenen Erzählungen befeuert. Tatsächlich gewonnen hat er jedoch nur Super Bowl VI. In Super Bowl X verwertete er zwar ein Field Goal, Dallas unterlag den Pittsburgh Steelers jedoch mit 17:21. Doch auch für die NFC-Championship gibt es einen Ring.

Mit Caroline schließt sich der Kreis

Geschichten über diese Ringe und die Super Bowl musste sich auch Caroline viele anhören, so ganz genau erinnere sie sich jedoch nicht mehr daran. Schließlich war seine Enkelin beim Ableben Tonis erst fünf Jahre alt.

"Woran ich mich erinnere, ist, dass ich ihn 'Toni, the Tiger' nannte, auch wenn ich nicht genau weiß warum", erzählt die 16-Jährige. Außerdem habe ihr der Opa gerne seinen Bart ins Gesicht gerieben.

Wer den Wiener Slang von Toni im Ohr hat, muss schmunzeln, wenn Hans dessen Enkelin mehr oder weniger dazu überreden muss, ein paar Worte auf Deutsch zu sagen. Das fällt beinahe schon unter die Kategorie Situations-Komik ("Come on, you took German classes for two years, make Daddy proud!" "I know, but German is so hard! Okay: Es geht mir gut!"

"A small victory", jubelt Hans, dass sich Caroline zu vier deutschen Worten bewegen ließ. Dass er nicht darauf geachtet hat, dass seine Töchter besser Deutsch sprechen, bereut er.

Irgendwie schließt sich dennoch der Kreis der Familie Fritsch, indem Caroline als Fußballerin ausgerechnet zu den sportlichen Wurzeln ihres Großvaters zurückkehrt. American Football und speziell die Dallas Cowboys würde sie zwar lieben, aber Soccer sei "der beste Sport der Welt!". Besonders würde dies für den FC Barcelona mit Lionel Messi, ihren absoluten Favoriten, gelten.

Wembley? A big deal!

Auf die Wembley-Geschichte ihres Opas angesprochen, reagiert sie ein wenig fragend: "Das war, als sie England geschockt haben, obwohl das keiner erwartet hat, oder?" Hans greift ein: "I told you that story!" Noch dazu weil dies gegen den späteren Weltmeister von 1966 gelang. "That's a big deal", nickt Caroline anerkennend!

In diesem Alter sind Heldentaten von vorgestern wohl für die meisten sekundär, selbst wenn sie der eigenen Verwandtschaft gelungen sind. Der Teenager träumt vielmehr davon, am College Fußball zu spielen und selbst Karriere zu machen.

Toni kam ohne ein Wort Englisch zu können in die USA. Es wäre eine beinahe zu originelle Geschichte, wenn Caroline eher schüchtern Deutsch sprechend den genau umgekehrten Weg einschlagen würde.

Zu weit hergeholt? Nicht wirklich. Zwischen den Zeilen erkundigt sich Hans, ob Caroline Chancen auf die österreichische Staatsbürgerschaft hätte, da er dort geboren sei. Eine Karriere im ÖFB-Damen-Team? Man weiß ja nie.

Hans steht in The Woodlands an der Seitenlinie und feuert seine Tochter bei ihrem Match an. "Ein bisschen traurig ist es schon, dass er sie nicht persönlich spielen sehen kann. Toni wäre stolz auf Caroline", sagt er dabei.

Wohlwissend, dass er ohnehin zusieht. Und Caroline deswegen gut spielen muss.

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