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Mannings Bier, Newtons Frust

LAOLA1 Foto: ©

AUCH DEFENSE IST FOOTBALL-KUNST:

Die eine oder andere Stunde ist inzwischen seit dem Ende von Super Bowl 50 vergangen, ich bin inzwischen zurück aus Santa Clara nach San Francisco gefahren. Auch wenn die ersten Emotionen weg sind, bin ich immer noch hin und weg von dieser Performance der Broncos-Defense. Vorneweg: Ich verstehe jeden, für den dieses „Big Game“ zach war. Gerade beim Spiel aller Football-Spiele schauen viele Leute zu, die sonst selten mit diesem wunderbaren Sport in Berührung kommen – und die wollen natürlich Spektakel sehen, viele Touchdowns, der Ball soll möglichst oft durch die Luft fliegen.

Aber: Auch das ist Football! Und zwar ganz große Football-Kunst! Vielleicht muss man ein bisschen tiefer in der Materie drinnen sein, um zu schätzen, was die Denver-Abwehr in diesem Showdown geleistet hat, dennoch ist es umso phänomenaler. Ich schätze Defense-Schlachten grundsätzlich, bei dieser muss man jedoch ein wenig differenzieren. Dass Carolinas wirklich gute Verteidigung mit dem eher schmalbrüstigen Angriff der Broncos weitestgehend zurechtkommen würde, war erwartbar. Aber was die Defense der Broncos mit der Dampfwalze an Offense der Panthers aufgeführt hat, war von einem anderen Stern. Damit hätte ich selbst nachdem ich die Vernichtung Tom Bradys vor zwei Wochen im AFC-Finale live miterlebt habe, in dieser Form nicht gerechnet. Denn Carolina agiert im Angriff für gewöhnlich wesentlich vielschichtiger und mit viel mehr Power. Und genau das macht den Reiz von Defense-Schlachten aus: Wenn man genau weiß, wie gut die gestoppte Offense im Normalfall ist. Ja natürlich haben Cam Newton und Co. Irgendwo diese Super Bowl verloren, aber hauptsächlich gewonnen haben sie Von Miller und Co.


MANNINGS HAPPY END:

Ja, Peyton Manning war schlecht. Vermutlich war es eine der miesesten Performances eines siegreichen Quarterbacks in einem NFL-Endspiel. Sein Job wäre es gewesen, das Spiel zu managen und keine Fehler zu begehen. Das ist ihm angesichts zweier Turnover nicht ganz gelungen. 141 Passings-Yards sind auch nicht das Gelbe vom Ei. Aber ganz ehrlich: So what? Wen juckt’s? Manning sicher nicht – und zwar völlig zurecht, und das nicht nur weil er die Vince-Lombardi-Trophy in Händen hält. Im Laufe seiner 18-jährigen Karriere ist der 39-Jährige gerade in Indianapolis bisweilen auch an nicht konkurrenzfähigen Defensivreihen der Colts gescheitert. Oftmals in seiner Laufbahn musste er ein Team beinahe alleine schultern und ist dabei kurz vor der Ziellinie gescheitert. Bis zu Super Bowl 50 stand gerade einmal ein Titelgewinn im ansonsten so atemberaubenden Lebenslauf des fünffachen NFL-MVPs – sogar Bruderherz Eli hatte deren zwei. Diesmal hat das Team ihn geschultert. In meinen Augen ist das ausgleichende Gerechtigkeit, auch wenn ich das als bekennender Manning-Fan möglicherweise nicht ganz objektiv sehe. Aber nichts symbolisiert den ultimativen Teamsport American Football besser, als wenn sich der vielleicht beste Quarterback aller Zeiten in der altersbedingten Schwächephase seiner Karriere durchschleppen lässt und dabei wie selbstverständlich in der Hackordnung weiter hinten einordnet.

Nun sollte Peyton aufhören. Das wird er vermutlich auch. Aber kann man darauf wetten? Unter der Woche waren hier in San Francisco schon Stimmen zu hören, die meinten, dass diese Super Bowl zwar garantiert sein letztes Spiel für Denver sei (Brock Osweiler beginnt seine Karriere als offizieller Broncos-Starter mit Ring am Finger und hat, wie ich meine, seinen fairen Anteil), aber ein Wechsel zu einem anderen Team nicht ausgeschlossen sei. Zum Beispiel in die NFC, um vielleicht auch in der Super Bowl einmal gegen Tom Brady spielen zu können. Also ganz ehrlich? Mir fehlt der Glaube! Gut, seit Brett Favre kann man sich bei NFL-Süchtigen erst dann sicher sein, wenn sie wirklich mehr als ein Jahr lang ihre Pension genossen haben, aber Manning ist intelligent genug, um einschätzen zu können, dass sein Körper einfach nicht mehr will. Und wie vielen Athleten ist ein solches Happy End vergönnt? Den Allerwenigsten. So richtig würde sich der viel zitierte Kreis zu seinem jetzigen Boss John Elway jedoch erst schließen, wenn er noch einen zweiten Titel in Folge zum Karriereabschluss erobern würde. Aber das nur so nebenbei.

Dass Peyton nicht gleich nach Spielschluss seine Entscheidung bekanntgegeben hat, war zu erwarten. Manning-Intimus Bill Polian hat schon vor einigen Tagen im nach diesem Absatz verlinkten Text vorhergesagt, wie das Prozedere vonstattengehen wird: Die lebende QB-Legende wird sich zurückziehen und in aller Ruhe eine Entscheidung treffen. Ich persönlich glaube zwar, dass es das war, habe jedoch das Gefühl, dass es Manning selbst noch nicht letztgültig entschieden hat. Während man sich hier im Vorlauf der Super Bowl schon viele Gedanken über seine Zukunft gemacht hat (am öftesten genannt: TV-Experte), will Manning selbst erst einmal diesen vor einigen Wochen wohl noch völlig unerwarteten Triumph genießen: „Heute Nacht werde ich jede Menge Bier trinken!“ Na dann Prost!


NEWTONS (UNPROFESSIONELLE) ENTTÄUSCHUNG:

Ich war Augen- und Ohrenzeuge der vieldiskutierten Pressekonferenz von Cam Newton, auf dem Weg zum Podium ging er unmittelbar an mir vorbei, und ich habe mir bei einem Blick in sein leeres und geschocktes Gesicht schon gedacht: Ui, das kann was werden. Dass es so danebengehen würde, ahnte vermutlich niemand.

Zu allererst: Ich denke, alle Welt hat Verständnis für die tiefe Enttäuschung von Newton. Eine Super Bowl zu verlieren, ist auf sportlicher Ebene das grausamste Gefühl, das man sich vorstellen kann. Noch dazu nach solch einer Saison – vermeintlich der Saison des frischgebackenen MVPs und seiner Panthers. Noch dazu nachdem man in Carolina angesichts einer Bilanz von 15-1 das Gefühl von Niederlagen kaum mehr kannte und sich wirklich den denkbar schlechtesten Zeitpunkt für eine Niederlage ausgesucht hat.

Trotzdem: Ich schließe mich der Kritik an Newton für diesen Auftritt an. Er will das neue Gesicht der NFL sein, lässt sich in guten Zeiten bei jeder Gelegenheit feiern, dann sollte er auch in schlechten Zeiten Größe zeigen und nicht lustlos, patzig und – man kann es nicht anders ausdrücken – kindisch sein. So funktioniert die Sport- und Medienwelt nunmal nicht mehr, auch wenn ich es menschlich nachvollziehen kann. Aus professioneller Perspektive jedoch nicht. Der 26-Jährige macht sich mit diesem Verhalten nur eine unnötige Baustelle auf. „Superman“ ist nach Anlaufschwierigkeiten in der NFL in dieser Saison sportlich erwachsen geworden. Als Gesicht der Liga und Leader einer Franchise muss er indes offenbar noch lernen.

Vielleicht war auch dies sinnbildlich dafür, dass diesmal noch einmal die „Vergangenheit“ und die Erfahrung über die Zukunft der NFL gesiegt haben. Vielleicht war ein Problem auch, dass Newton schon im Laufe der Woche bisweilen verkrampfter gewirkt hat, als man es von ihm gewohnt ist – ich habe versucht, es in den Faktoren für dieses Spiel anzudeuten. Zudem geriet man in eine ungewohnte Situation. „Carolina mag es nicht, wenn sie Rückstände aufholen müssen“, grinste Broncos-Tight-End Owen Daniels. Damit könnte er fraglos rechthaben. Mit dem Ground-and-Pound-Stil der Panthers lassen sich Vorsprünge bestens verwalten. Aufholjagden, noch dazu gegen solche Defenses, sind da schon schwieriger.

Hier Newtons Aussagen nach einem etwas längeren Eröffnungs-Statement:

Seine Message an die Fans der Panthers: „We’ll be back.“

Warum die Panthers nicht Normalform erreicht haben: „They outplayed us.“

Was Coach Rivera in der Kabine gesagt hätte: „He told us a lot of things.“

Ob Denver in der Defense irgendetwas anders gemacht hätte: „Nothing different.“

Darüber, ob er seine Enttäuschung in Worte fassen könne: „We lost.“

Ob Denver irgendetwas in der Bekämpfung von Carolinas Laufspiel geändert hätte: „No.“


VON MILLERS SCHRITT ZUM SUPERSTAR:

Einige Zahlen:
  • Die 194 Offense-Yards der Broncos waren die wenigsten eines Super-Bowl-Siegers in der Geschichte. Den zuvor niedrigsten Wert errangen die Baltimore Ravens 2001 gegen die New York Giants mit 244 – auch die Ravens konnten sich auf eine mächtige, wenn nicht sogar noch mächtigere Defense verlassen.
  • Die Broncos sind das sechste Team der Geschichte, das die Super Bowl ohne Touchdown-Pass gewonnen hat. Das letzte Mal gelang dies Denver beim ersten der beiden Elway-Titel – also auch hier schließt sich ein Kreis.

Diese mauen Offense-Werte unterstreichen tendenziell zusätzlich, wie herausragend die Defense der Broncos agiert hat. Auch wenn es in der Folge hauptsächlich um MVP Von Miller geht, sei zunächst auf seine Kollegen hingewiesen. In welcher Überform in den vergangenen Wochen auch DeMarcus Ware, für den mich der Titel als Abrundung seiner fantastischen Karriere enorm freut, Malik Jackson, der den ersten Touchdown abgestaubt hat, und Derek Wolfe im Pass Rush gespielt haben, ist sagenhaft.

„Das ist die beste Defense, die ich je gesehen habe“, staunte Elway und verpackte so auch geschickt ein wenig Eigenlob mit einem schönen Mascherl, denn immerhin war es die Broncos-Legende, die in ihrer Funktion als GM nach dem Super-Bowl-Debakel gegen Seattle vor zwei Jahren den Kurswechsel von einem offensiv- hin zu einem defensivorientierten Team eingeläutet hat. Gut, das mit der besten Defense aller Zeit mag ein wenig subjektiv übertrieben sein, da gab es auch noch andere, dies soll jedoch diese Leistung keinesfalls schmälern.

Miller war 2011 der erste Spieler, den Elway in seiner Funktion als Personalverantwortlicher gedraftet hat. An Nummer 2 – unmittelbar hinter Carolinas Wahl von Newton. Somit standen sich in dieser Super Bowl nicht nur erstmals zwei an Nummer 1 gedraftete QBs gegenüber, sondern auch erstmals die beiden ersten Picks eines Draft-Jahrgangs. Und wie sie sich gegenüberstanden. Millers erfolgreiche Jagd auf Newton war der Schlüssel zum Sieg. 2,5 Sacks und vor allem zwei Forced Fumbles standen auf der Haben-Seite des Defense-Leaders, der völlig zurecht als zehnter Verteidiger der Super-Bowl-Geschichte zum MVP gewählt wurde. Nachdem er das „Big Game“ vor zwei Jahren aufgrund eines Kreuzbandrisses verpasst hatte, gab es somit auch für den 26-Jährigen ein Happy End. Für ihn war diese herausragende Einzelleistung der Schritt vom großen Star zum absoluten Superstar.

„Wir haben auf dieses ganze Underdog-Gerede nie gehört. Wir wissen, aus welchem Holz dieses Team geschnitzt ist. Wir wissen, welches Spiel wir aufziehen können, und genau darauf haben wir uns konzentriert“, fasste Miller das Erfolgsgeheimnis seiner Defense zusammen. Und er vergaß auch nicht, auf Defensive Coordinator Wade Phillips hinzuweisen. Nach all den Jahren im Geschäft und einem Jahr in der vermeintlichen Pension ist dem 68-Jährigen doch noch ein Super-Bowl-Ring vergönnt – und das als Mastermind dieser Abwehr. Miller: „Er hat einen unglaublichen Job abgeliefert. Er schreibt unsere Fehler immer sich selbst zu, also schreiben wir ihm diesen Super-Bowl-Sieg zu.“



Für LAOLA1 war es die fünfte Reise zum größten Eintages-Sportereignis der Welt, und ich denke, wir entwickeln uns von Jahr zu Jahr weiter. Erstmals waren wir bei einem Championship Game zu Gast und dieses Erlebnis in Denver wird mir definitiv in Erinnerung bleiben. Diesmal war ich auch ein wenig als Kameramann und Video-Reporter gefragt – ein Gebiet, in das ich erst hineinschnuppere, aber es hat Spaß gemacht. Das Ergebnis, nämlich die Studio-Sendung mit den Kollegen Bernhard Kastler und Karl Huber (sport.orf.at), konnte sich jedenfalls sehen lassen. Ich hoffe, ihr habt sie gesehen und es hat euch gefallen. Dieser zunehmende Aufwand für die NFL ist ohnehin nur dank eures immer größer werdenden Interesses möglich, deshalb auch im Namen von Kollegen Kastler noch einmal ein herzliches Dankeschön! Dir, lieber „enzo_karotti“ wünschen wir, dass du die Pleite deiner Panthers möglichst bald abhaken kannst und uns weiter mit deinen Analysen zu Carolina erfreust. Und allen anderen wünschen wir eine möglichst erfreuliche Offseason für eure Teams. Bleibt uns gewogen, der Touchdown Tuesday kommt wieder – das nächste Mal mit einem Special zur Free Agency!

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