news

Michael Ohers Friede mit "The Blind Side"

LAOLA1 Foto: ©


Peter Altmann berichtet von Super Bowl 50 aus San Francisco

 

Wer diesen Text einige Wochen oder Monate nach dem Erscheinungsdatum liest, ist vermutlich via Google hier und hat gerade „The Blind Side“ gesehen.

Herzlich Willkommen auf LAOLA1, Österreichs größer Sport-Homepage.

In der Gegenwart bereitet sich Michael Oher gerade auf die zweite Super Bowl seiner Karriere vor. Das Big Game. Den Olymp für jeden Football-Profi. Am Sonntag wird er in Santa Clara im Dress der Carolina Panthers auf die Denver Broncos treffen.

Die Super-Bowl-Woche ist wie keine andere im Saisonverlauf. Medientermine noch und nöcher, Trubel allerorts, potenzielle Ablenkungen wohin man nur schaut.

Weltstar wider Willen

Für Oher hat der Countdown bis zum Kickoff des größten Eintages-Events der Sportwelt jedoch einen weiteren Nebeneffekt: Er wird unweigerlich mit einem Thema konfrontiert, über das er gar nicht mal so gerne spricht, das ihn jedoch sein restliches Leben begleiten wird.

„The Blind Side“.

Den Hollywood-Blockbuster. Den Oscar-prämierten Film. Jenes gut zweistündige Leinwand-Drama, das auf seinem Leben basiert und selbiges in der Realität für immer verändert hat.

Jenen Film, der ihn zum Weltstar machte. Zum Weltstar wider Willen.

So merkwürdig es für NFL-Freaks klingen mag: Nichts gegen Peyton Manning, Aaron Rodgers oder Russell Wilson – jener Footballer, mit dem auch Nicht-NFL-Interessierte am ehesten etwas anfangen können, ist Oher. Da kann vielleicht nur noch „Mr. Bündchen“ Tom Brady mithalten.

So merkwürdig es für Nicht-NFL-Freaks klingen mag: Wäre „The Blind Side“ nie gedreht worden, würde sich kaum jemand für das 143 Kilo schwere „Bröckerl“ interessieren. Er ist O-Liner, somit einer der stillen Helden dieses Sports. Ein weitgehend anonymes Helferlein, das maximal im Falle von schwerwiegenden Fehlern den Weg in die Schlagzeilen findet. Der klassische brave Soldat.

Das Problem mit dem sportlichen Part

Oher indes ist ein O-Liner, um den sich bei der Opening Night vor der Super Bowl, dem traditionellen Medien-Spektakel im Hinblick auf das NFL-Finale, die Journalisten scharen.

„The Blind Side“ sei Dank.

Steht man neben dem inzwischen 29-Jährigen, spürt man nahezu, wie unangenehm es ihm ist, über den Film zu sprechen – und Fragen prasseln von Reportern aus aller Welt auf ihn ein. Dennoch scheint er seinen Frieden damit geschlossen zu haben. Fraglos ein Reifeprozess.

Rückblende ins Jahr 2013. Zur selben Zeit vor drei Jahren bereitete sich Oher auf seine erste Super Bowl vor, die er letztlich als Mitglied der Baltimore Ravens gegen die San Francisco 49ers gewinnen sollte.

Letztlich geht es wohl um die Erkenntnis, dass die Story seines Lebens Hoffnung spenden kann. Die Story des obdachlosen Jugendlichen, dessen Mutter schwer drogenabhängig ist und der von der wohlhabenden Familie Tuohy erst aufgenommen und später adoptiert wird, seine Lernschwäche überwindet und als grandioses Football-Talent von zahlreichen Top-Colleges umworben wird.

Die Tränen von Mrs. Tuohy

Die cineastische Umsetzung berührte die Seher. Heerscharen stürmten in die Kinos, die Produktion spielte weltweit mehr als 300 Millionen Dollar ein und ist nach wie vor in regelmäßigen Abständen ein Fixstern am TV-Himmel.

Sandra Bullock durfte sich für ihre famose Verkörperung der resoluten Adoptivmutter Leigh Anne Tuohy über einen Oscar freuen.

Leigh Anne und ihr Ehemann Sean sind nach wie vor extrem präsent im Leben ihres längst erwachsenen Sohnes.

Besuche von Panthers-Matches gehören zum Pflichtprogramm, wobei dies bisweilen eine reisetechnische Herausforderung darstellt. Schließlich will man auch die College-Basketball-Spiele von Sohn S.J. – ja, auch der freche, kleine Bursche aus dem Film ist inzwischen erwachsen – nicht versäumen.

"The Eagle has landed" "The chicken is in the pot" ... Whatever you want to say.... I say, "Heeeerrrrreeee come the...

Posted by Leigh Anne Tuohy on Sonntag, 31. Januar 2016

Am Sonntag wird sich die komplette Familie in Kalifornien versammeln, um Oher gegen die Broncos anzufeuern. Nicht unwahrscheinlich, dass Mrs. Tuohy mehr als eine Träne verdrücken wird – es wäre nicht das erste Mal.

„Jedes Mal, wenn er auf das Spielfeld läuft, ist es für mich der Beweis, dass es Hoffnung auf dieser Welt gibt. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, können sich Menschen ändern. Seit mittlerweile sieben Jahren weine ich jedes Mal, wenn die Offense vorgestellt wird und er aus dem Spielertunnel läuft. Die Leute um mich denken sich: „‚Echt jetzt?‘ Aber ich kann nichts dagegen machen“, gestand Tuohy unlängst gegenüber „ESPN“.

Die Rückkehr in die Heimat gerät zum Desaster

Sieben Jahre spielt Oher inzwischen in der NFL, nicht alle davon waren gute. Im Gegenteil. Dem Höhepunkt des Super-Bowl-Triumphs mit den Baltimore Ravens, die ihn 2009 in der ersten Runde gedraftet hatten, folgte ausgerechnet in der Heimat der Absturz.

2014 unterschrieb Oher einen Vierjahres-Vertrag bei den Tennessee Titans. Was die emotionale Rückkehr in seinen Heimatstaat werden sollte, endete im sportlichen Desaster.

Geplagt von Verletzungen zählte er zu den schlechtesten Tackles der Liga, lieferte unterirdische Statistiken ab, landete wegen einer Zehenverletzung auf der Verletztenliste und wurde schließlich nach nur einer Spielzeit entlassen.

„Ich hatte mir meinen Bizeps gerissen und habe mit weiteren Verletzungen gespielt“, erzählt Oher und betrachtet es als Klarstellung, nicht als Entschuldigung.

Ein Jahr später gilt er als einer der besseren Left Tackles der NFL, hat eine der besten Saisonen seiner Laufbahn gespielt und somit seinen fairen Anteil am Höhenflug der Carolina Panthers.

Newton wollte Oher nicht, er brauchte ihn

Sorgen, in eine längere Arbeitslosigkeit zu schlittern, musste er sich trotz der enttäuschenden Performance bei den zuletzt chronisch erfolglosen Titans ohnehin nicht machen.

Einige Teams zeigten Interesse, im Namen der Panthers buhlte vor allem Quarterback Cam Newton intensiv um Oher. Der designierte NFL-MVP wollte höchstpersönlich sicherstellen, dass Oher und niemand anders auf der für Spielmacher so heiklen Position des Left Tackles seine Blind Side beschützt.

Newton bombardierte Oher mit Text-Nachrichten. „Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich ihn hier haben will, ich habe ihm gesagt: Ich brauche ihn! Zwischen wollen und brauchen gibt es einen großen Unterschied“, verdeutlicht Newton.

Super Bowl Bound with this seasoned veteran!!!Michael Oherr GREAT job babe!! You are my MVP, All-Star, rock star and I'm so so so proud of you!!! Keep grinding! One more game! #KeepPounding #GoPanthers

Posted by Leigh Anne Tuohy on Sonntag, 24. Januar 2016

Zwischen „Big Mike“ und seinem Quarterback gibt es einen weiteren Konnex. Newtons Bruder Cecil jr. stand während Ohers Zeit in Baltimore als Center am Practice Squad der Ravens und ist seither ein enger Freund, der seinem Bruderherz den Tipp gab, sich um diesen Schlüssel-Neuzugang zu bemühen.

Dass mit John Matsko zudem sein erster O-Line-Coach bei den Ravens inzwischen in selber Funktion bei den Panthers werkte, sprach zudem für eine Übersiedlung nach Charlotte.

Zweiter Super-Bowl-Triumph als Krönung?

Wie sehr sich diese bezahlt machen sollte, war bei der Unterschrift nicht abzusehen. Gerade einmal eine Niederlage leistete sich Carolina auf dem Weg in die Super Bowl. Dort sind die Panthers Favorit und somit nur noch einen weiteren Sieg von der Erfüllung des Lebenstraums eines jeden Footballers entfernt.

Für Oher wäre es bereits das zweite Mal. Aufgrund des schalen Beigeschmacks, den die Jahre seit dem ersten Triumph hinterließen, würde dieser Erfolg umso süßer schmecken.

Aufgrund der Erfahrungen in jüngerer Vergangenheit würde er seine zweite Endspiel-Teilnahme jedenfalls eine Spur mehr schätzen als bei der Premiere:

„Du kommst von einem der schlechtesten Teams zu einem der besten. Du hörst, wie viele Experten behaupten, du bist nicht mehr gut genug, und jetzt stehst du in der Super Bowl. Das zeigt, dass du alles erreichen kannst, was du willst.“

Auch die sportliche Wiederauferstehung des Michael O. ist definitiv eine inspirierende Geschichte, wenngleich diesmal kein Hollywood-Material.

Niemandem wird dies lieber sein als Oher selbst.

Kommentare