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Carolinas Weg zurück in die Super Bowl

LAOLA1 Foto: ©

1:08 Minuten zu spielen, 29:29, Kickoff Carolina Panthers.

Viel musste für sie richtig laufen, um sich gegen die übermächtigen New England Patriots in die erste Overtime der Super-Bowl-Geschichte zu retten.

Und das, nachdem sie zwei Jahre zuvor nur ein Spiel gewonnen hatten. Eine Cinderella-Story aus dem Bilderbuch.

Korrektur: Um sich fast in die erste Overtime der Super-Bowl-Geschichte zu retten. Denn nicht jede Cinderella-Story endet mit einem Prinzen, manche endet mit einem lachenden Tom Brady.

John Kasay tritt den Kickoff ins Out, Brady bekommt den Ball deshalb an der 40-Yard-Linie. Incompletion, Completion, Penalty, Completion, Completion, Completion, Field Goal Adam Vinatieri, drei Punkte, 32:29 Patriots, vorbei. Keine Overtime, der Traum geplatzt.

Das war 2004. Der bisherige Höhepunkt der Franchise-Geschichte ist ein abgerissener Kickoff.

Jetzt ist 2016.

Wieder Super Bowl, diesmal gegen die Denver Broncos. Die Panthers-Fans dürfen wieder auf den ersten Titel hoffen. Das ist die Chronik des Weges zurück ins Big Game.



2004: Zurück in der Realität

Zwei Mal in Folge in die Super Bowl zu kommen ist in der gnadenlosen NFL schwierig. Wenn dann noch der Verletzungsteufel die Kettensäge auspackt, wird es verdammt schwierig. So war die Post-Super-Bowl-Saison der Panthers sehr schnell vorbei: Ein Beinbruch bei Steve Smith im Auftaktspiel war ein böser Vorbote. Was dem Running-Back-Arsenal im Laufe der Saison wiederfuhr, grenzte ans Absurde: Stephen Davis – Knie-OP. DeShaun Foster – Schlüsselbeinbruch. Rod Smart – Knieprobleme. Einzig die Nummer Vier blieb fit: Nick Goings schlug sich mit 821 Rushing Yards wacker. Auch die Defense vermisste mit Kris Jenkins, Brentson Buckner und Mark Fields drei Stars. Unter dem Strich standen trotz eines 1-7-Fehlstarts sieben Siege und neun Niederlagen. Dennoch ein schmerzhafter Reality Check.

2005: Zurück an der Spitze?

Sam Mills war die Carolina Panthers. Nein, kein Tippfehler. Der kleingewachsene Linebacker trug vom Gründungsjahr 1995 an das schwarz-blaue Trikot. Sein Interception-Return-Touchdown gegen die New York Jets sorgte für den ersten Sieg der Franchise-Geschichte, nach seiner aktiven Zeit blieb er dem Team als Coach und Führungsperson erhalten. 2003 wurde bei dem damals 44-Jährigen Darmkrebs diagnostiziert, die Ärzte gaben ihm wenige Monate. Chemotheraphie. Bestrahlung. Trotzdem blieb Mills Coach. Vor dem Super-Bowl-Run 2003 prägte er in einer emotionalen Ansprache das Mantra der Panthers: „Keep Pounding“. Bedeutungsgetreu ist diese Aussage nicht zu übersetzen, „immer weiterkämpfen“ kommt wohl am nächsten. Mills kämpfte. Bis er am 18. April 2005 starb. Das Mantra lebte weiter: „Keep Pounding“ steht im Kragen jedes Panthers-Jerseys, vor Heimspielen wird die mannshohe „Keep Pounding“-Trommel geschlagen. Dank Social Media und Hashtags ist der Spruch heute präsenter denn je. Auch Sam Mills selbst ist in Erinnerung: Als einziger Ex-Spieler wurde er mit einer Statue vor dem Bank of America Stadium verewigt.

Trotz des emotionalen Tiefschlags lief die Panthers-Saison 2005 sportlich gut: Ein 23:0 im Wild-Card-Game gegen die New York Giants war bis vor einigen Wochen das einzige Playoff-Shutout seit 2002. In der zweiten Runde ein Sieg gegen die Chicago Bears – die Super Bowl war wieder zum Greifen nahe. Bis die Seattle Seahawks um Matt Hasselbeck und Shaun Alexander im Conference Final mit 34:14 kurzen Prozess machten. Detail am Rande: Der einzige gesunde Running Back am Ende der Niederlage war die nominelle Nummer fünf, Jamal Robertson.

2006: Zurück in der Achterbahn

„Sports Illustrated“ bezeichnete die Panthers vor dem Auftaktspiel als „Super-Bowl-Kaliber“, einige Monate später war die Saison nach acht Siegen und acht Niederlagen vorzeitig vorbei. Quarterback Jake Delhomme bezeichnete es als „eines der härtesten Jahre“, das er je im Football erlebte.

2007: Zurück zur Vorjahresleistung

Abermals Optimismus im Vorfeld der Saison, abermals die Playoffs verpasst. Fünf Niederlagen in Serie, nach Jake Delhommes Verletzung mitverursacht von David Carr und dem 44-jährigen Vinny Testaverde, sorgten für eine 7-9-Bilanz.

2008: Zurück in Delhommes Händen

Mit dem wiedergenesenen Delhomme und einem hervorragenden Laufspiel lief es 2008 wesentlich besser: 12 Siege, vier Niederlagen, dank eines Field Goals in der letzten Sekunde der Regular Season die zweite First-Round-Bye der Franchise-Geschichte. Wer die vorherigen Absätze gelesen hat, kennt den nächsten Akt. Quarterback Delhomme erklärte das fällige Debakel zur Chefsache und produzierte in der Divisional Round gegen die Arizona Cardinals am Weg zu einem 13:33 stolze sechs Turnover. Ein Negativ-Rekord, der bis zum „Rematch“ vor zwei Wochen hielt.

2009: Zurück am Quarterback-Markt

Nach Delhommes Implosion gegen Arizona verlängerte GM Marty Hurney seinen Vertrag demonstrativ um fünf Jahre, der Quarterback erholte sich im Sommer auf seiner Pferdefarm in Louisiana. Saison 2009, Woche 1, Heimspiel gegen die Philadelphia Eagles – Delhomme wirft vier Interceptions, verliert einen Fumble und wird im dritten Viertel auf die Bank verbannt. Achtung Spoiler: Dies wird keine Saison, in der es bergauf geht. Was möglich war, zeigt sich erst im Finish. Der zum Starter beförderte QB Matt Moore führt die Panthers zu drei Siegen in Folge, zwei davon gegen Playoff-Teams. Bilanz: Acht Siege, acht Niederlagen.

2010: Zurück am Boden

Nachdem es am Ende der Saison 2009 bergauf ging, folgte 2010 zwangsläufig ein Tiefpunkt – und diesmal war es die absolute Talsohle der ewigen Panthers-Sinuskurve. Delhomme wurde wie Julius Peppers in der Offseason entlassen, die Langzeit-Stützen Muhsin Muhammad und Brad Hoover beendeten ihre Karriere. In einer schwierigen Saison gelangen den Panthers nur zwei Siege, je einer davon gegen die ähnlich bemitleidenswerten 49ers und Cardinals. Als Konsequenz ließ die Franchise-Führung die Verträge des kompletten Coaching-Stabs um Head Coach John Fox auslaufen.

2011: Zurück in der Zukunft

Der Vorteil einer Katastrophensaison ist ein guter Draftpick – im konkreten Fall die Nummer eins. Der Wunschkandidat war Andrew Luck, ehe sich dieser Anfang Januar für ein weiteres Jahr am College entschied. Also wurde es Cam Newton, wie Luck ein Quarterback. Kritiker bezeichneten ihn trotz einer überragenden College-Saison mit den Auburn Tigers als nicht NFL-tauglich. Der neu installierte Head Coach Ron Rivera vertraute dem damals 22-Jährigen, so hatten die Panthers ihren Spielmacher der Zukunft. Diese begann mit zwei Siegen aus den ersten zehn Spielen holprig, ein gutes Saisonfinish brachte noch eine 6-10-Endbilanz. Wichtiger war Newtons Performance: 4000 Passing Yards, 700 Rushing Yards, 35 Touchdowns – eine Pro-Bowl-würdige Duftmarke des Rookies of the Year. In der Vorsaison hatte die gesamte Panthers-Offense 17 TDs geschafft.

2012: Zurück zur Relevanz

Ein Jahr nach dem Draft von Newton war auch für die Defense ein neuer Leader fällig, also investierte GM Marty Hurney den neunten Pick des Drafts in Luke Kuechly. Eine im Nachhinein geniale Aktion, die Hurneys Job aber nicht retten konnte. Nach fünf Niederlagen in sechs Spielen (vier davon mit weniger als sieben Punkten Abstand) wurde Hurney gefeuert, auch der Job von Coach Rivera war in Gefahr. Wie so oft raufte sich das Team zu Saisonende zusammen, gewann die letzten vier Spiele und rettete trotz der verpassten Playoffs Riveras Job.

2013: Zurück in den Playoffs

Riveras dritte Saison, Riveras dritter Fehlstart. Die ersten zwei Spiele gingen verloren, die Ursache zog sich schon durch die gesamte Amtszeit des Kaliforniers. Riveras ausufernde Angst vor Risiken brachte die Panthers zu oft um Punkte, er spielte entgegen jeder Logik kaum vierte Versuche aus und entschied sich stets für ein Field Goal, anstatt den Touchdown zu suchen. Schnell wackelte der Trainerstuhl. Rivera brach mit seinen Traditionen, traute sich etwas und gewann das erste Spiel mit neuer Philosophie 38:0. Im weiteren Saisonverlauf verloren „Riverboat Ron“ und die Panthers nur zwei Mal und sicherten sich dank der drittbesten Defense der Liga eine Bye Week in den Playoffs. Höchste Zeit für einen Nackenschlag! Die Panthers gingen übertrieben aufgezuckert in das Divisonal Game gegen die San Francisco 49ers und schenkten Colin Kaepernick und Co. durch Strafen fünf First Downs, auf der anderen Seite des Balles war gegen die Niners-Defense keine Schlacht zu gewinnen. 10:23, Saison vorbei.

2014: Zurück in der Absurdität

Die Saison 2014 liest sich auch im Nachhinein wie ein misslungener Witz. Eine Serie von sechs Niederlagen. Das erste Unentschieden der Franchise-Geschichte. Am Ende doch noch vier Siege in Folge, eine Saisonbilanz von 7-9. Als zweites Team der NFL-Geschichte gewannen Newton und Co. mit neun Niederlagen ihre Division. Da die Arizona Cardinals um Ersatz-Ersatz-Ersatz-Ersatzquarterback Ryan Lindley im Wild Card Game mit 78 Total Yards (!) kein Gegner waren, gab es sogar noch ein Date mit den vermeintlich übermächtigen Seattle Seahawks. Der amtierende Super-Bowl-Champ war Ende des dritten Viertels nur vier Punkte voran, am Ende leuchtete ein 17:31 von der Anzeigetafel.

2015: Zurück in der Super Bowl

Seit heuer weiß der routinierte Panthers-Fan, wie eine Traumsaison funktioniert: Man muss die Schicksals-Watsch’n einfach vor Saisonbeginn erledigen! Als sich Nummer-Eins-Receiver Kelvin Benjamin im Training das vordere Kreuzband im linken Knie riss, legten Pessimisten und auch mancher Realist das Jahr 2015 bereits zu den Akten. Dann ein Auftaktsieg gegen Jacksonville. Gut, Jacksonville eben. Ein Sieg und Cam Newtons Salto-Touchdown gegen Houston. Gut, Houston eben. Und der nächste Sieg, und der nächste, und der nächste…bis Woche 16, als die Atlanta Falcons die Hoffnungen auf eine Perfect Season beendeten. Egal, der Rest ist in frischer Erinnerung. Ein fast noch vergeigter Blitzstart im Divisional Game gegen Seattle, ein ganz und gar nicht vergeigter Blitzstart im Conference Final gegen Arizona und schon steht ein Team, mit dem vor der Saison niemand rechnete, als Favorit in der Super Bowl. Und die Panthers-Fangemeinschaft ist kurz davor, am Gipfel ihres längeren Weges zurück anzukommen.

 

Martin Schauhuber

 



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