Geflohen vor Tod und Zerstörung. Nach Österreich gekommen mit dem Traum von Freiheit. Mit dem Traum von Leben.
Und mit dem Traum von Olympia.
Zakaria Neheli ist 26 Jahre alt. Er ist syrischer Flüchtling.
Sein Schicksal ähnelt in vielen Aspekten jenem von tausend anderen seiner Landsleute, die sich gezwungen sahen, ihr Land zu verlassen. Es ist eine Geschichte unter vielen. Aber jede für sich besonders.
Aus dem Leben gerissen
Jene von Zakaria Neheli beginnt in Homs, der mit knapp 800.000 Einwohnern drittgrößten Stadt Syriens.
Bevor die Protest-Bewegungen gegen das Regime von Machthaber Baschar al-Assad im Jahr 2011 ihren Lauf nahmen, bot die Metropole im Westen des Landes den Menschen alle Möglichkeiten. Passend für Zakaria. Er ist eines von sechs Kindern, studierte Wirtschaft, entwickelte ein Faible für Kunst und war einer der hoffnungsvollsten 100m-Sprinter seines Landes. „Meine Bestzeit damals lag bei 10,3 Sekunden“, erinnert er sich.
Eine Zeit, die eine Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012 in London realistisch erschienen ließ. Doch dazu sollte es nicht kommen.
Die ersten Auflehnungen gegen Assad mündeten im noch heute andauernden Bürgerkrieg mit vielen Gruppierungen und Fronten. Einem Bürgerkrieg, in dem es kein Gut oder Böse gibt.
Die Rebellenhochburg Homs traf es besonders schlimm. Bombardierungen und Panzer-Angriffe kosteten unzähligen Zivilisten das Leben. Auch in Zakarias engstem Umfeld. Seine Freundin und einer seiner Brüder kamen um. Teile der Stadt wurden in Schutt und Asche gelegt. An einen Alltag war kaum zu denken.
That's #Homs #Syria:
Before and after "democracy" sponsors interference in the country.
#refugeecrisis pic.twitter.com/S3x2XFHBfR
— Daniel LO Souza (@daniellucio_pro) 21. Oktober 2015
Die Nehelis flohen nach Jordanien, wo man zwar Sicherheit, jedoch keine Perspektive vorfand. Ohne Recht auf Arbeit war mit den 24 Euro, die Hilfesuchenden pro Monat zugestanden wurden, nur schwer ein Auskommen zu finden. Zakaria wagte deshalb einige Male die gefährliche Rückreise nach Syrien, wo inzwischen die radikale Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) an Macht gewonnen hatte und vor allem im Osten weite Teile Syriens kontrollierte. Die Gefahr aufgegriffen und vom IS inhaftiert zu werden, war groß.
Sie nennen ihn "Kapitän"
Die Jahre vergingen, Krieg und die perspektivlose Situation blieben. Mithilfe eines bereits in Skandinavien lebenden Bruders konnte die Familie für Zakaria einen Schlepper für 1.100 Euro finanzieren. Von der Türkei wollte er über den gefährlichen Seeweg nach Griechenland übersetzen.
Als Zakaria und seine Flucht-Kollegen jedoch am Ufer ankamen, an dem die Boote lagen, tauchte plötzlich die Polizei auf. Die Schlepper-Kapitäne nahmen Reißaus, ließen Flüchtlinge und Boote zurück. Die Flucht schien gescheitert, ehe sie richtig begonnen hatte.
„Einige wussten, dass mein Vater Fährmann ist, darum meinten sie, ich solle das Boot steuern“, schildert Zakaria, der jedoch bei weitem nicht so viel Ahnung von Wasser-Gefährten hat wie sein alter Herr. „Zum Glück konnte er mir in der Eile am Telefon die notwendigsten Dinge durchsagen, was zu tun sei.“
So gelang es Zakaria, das Boot und seine Besatzung in einer dreistündigen Überfahrt sicher an ihr Ziel, die griechische Insel Kos, zu bringen. „Ab da haben sie mich nur noch Kapitän genannt.“
Jagd durch das Unterholz
Dies war aber erst der Startschuss seiner knapp drei Wochen dauernden Flucht über die Balkan-Route nach Mitteleuropa. Mittels Zügen, Taxis und hunderten Kilometern Fußmarsch schlug sich Zakarias Gruppe immer weiter nach Nordwesten durch. Ausgerüstet war er nur mit einem kleinen Rucksack und einem Handy, welches zu Orientierungs- und Informations-Zwecken zum wichtigsten Flucht-Utensil wurde.
Der Übertritt von Serbien nach Ungarn gestaltete sich besonders schwierig. „Wir wählten deshalb den Weg durch einen Grenzwald“, so Zakaria. Eine Idee, die jedoch schon andere Flüchtlinge zuvor hatten. Die ungarischen Behörden hatten das Schlupfloch längst ausgemacht und versuchten es zu schließen.
„Grenz-Beamte waren uns im Wald dicht auf den Fersen. Wir hörten bereits das Bellen der Hunde“, berichtet Zakaria von jagdähnlichen Szenen. Ein Wettlauf gegen die Polizisten-Patrouille durch das Unterholz.
Zakaria schaffte es zu entkommen, wurde im Chaos aber von seinen Flucht-Kollegen getrennt.
Eine neues Zuhause
Nach 200 Kilometern Fußmarsch durch Ungarn gelangte er im August schließlich nach Österreich, wo er zunächst ins Erstaufnahme-Zentrum nach Traiskirchen kam und später nach Salzburg überstellt wurde. In der Mozartstadt lernte er zufällig die beiden Mondseer Gorjan Zarevski-Bak und dessen Lebensgefährtin Jelena, Spitzname „Eci“, kennen. Die Chemie zwischen der einstigen Sprint-Hoffnung und den beiden sport- sowie kunstaffinen Oberösterreichern stimmte von Anfang an.
„Als wir hörten, dass Zakaria in die Slowakei verlegt werden sollte, haben wir ihn auf Wunsch von Eci eingeladen, bei uns zu wohnen“, so Zarevski-Bak, der sich im heimischen Karate- und Kulturverein engagiert.
Anschluss hat Zakaria schnell gefunden. Mit seinen farbenfrohen Mosaiken, die aktuell in der Salzburger Galerie b11 ausgestellt werden, versucht sich der Autodidakt eine neue Existenz aufzubauen. Auch wenn das Geld knapp ist, schickt er regelmäßig Beträge zurück zu seiner Familie. Zu jenen, die ihm die Chance auf ein Leben mit Perspektive ermöglichten und die in Jordanien nach wie vor einer ungewissen Zukunft entgegensehen.
Eine offene Rechnung mit Olympia
In sportlicher Sicht vermochten selbst die Wirren des Bürgerkriegs EINEN Traum Zakarias nicht auszulöschen: Jenen von Olympia.
Passend dazu erklärte das IOC unlängst, dass in Rio erstmals Spitzensportler mit Flüchtlingsstatus unter der Olympischen Flagge an den Start gehen können. „Hoffnung durch Sport“, nennt IOC-Präsident Thomas Bach diese Reaktion auf die internationale Flüchtlings-Krise.
Ein Ansporn für Zakaria, der in die Trainingsgruppe rund um Österreichs 400m- und 800m-Spezialisten Günther Matzinger eingestiegen ist.
Allerdings haben die vergangenen fünf Jahre naturgemäß ihre Spuren am Sprintvermögen von Zakaria hinterlassen. „Aktuell laufe ich die 100m nicht unter elf Sekunden.“ Die für Olympia geforderten 10,16 Sekunden scheinen im Augenblick fast unerreichbar.
Die Hoffnung will Zakaria jedoch nicht aufgeben.
Und egal, ob es am Ende für Rio reicht oder nicht, wäre es bestimmt nicht das wichtigste Kapitel in der Geschichte des Zakaria Neheli. Einem Schicksal unter vielen. Einem, das besonders ist.
Reinhold Pühringer