Nach einem 5. Platz bei der Europameisterschaft und einer Top-6-Platzierung bei der Heim-WM am Rathausplatz innerhalb weniger Monate, könnte man meinen, Österreichs 3x3-Profis haben dieses Jahr bereits alle Saisonhöhepunkte hinter sich. Tatsächlich steht das wichtigste – oder zumindest das am stärksten besetzte – Turnier der Saison aber noch bevor. Denn ab Freitag spielt Team Vienna beim World-Tour-Finale in Saudi-Arabien um den Gesamtsieg auf der Profitour.
Dass die Österreicher in der Hafenstadt Dschidda zum engsten Favoritenkreis gehören, ist nach neun Halbfinalteilnahmen in dieser Saison zwar nicht mehr wirklich überraschend, wenn man sich den gesamten Werdegang von Team Vienna anschaut aber durchaus erstaunlich. Nach den ersten ganz großen Erfolgen in der Vorsaison, an denen der damals überragende Serbe Stefan Stojacic noch maßgeblich beteiligt war, fand in der Offseason nämlich ein Umbruch statt. Mit dem serbischen Spitzentrainer Milan Isakov wurde ein ausgewiesener Spezialist verpflichtet, der von Anfang eine klare Forderung an sein neues Team hatte: „Jeder einzelne muss mehr Verantwortung übernehmen.“
„Ich habe immer gesagt, ich bin ‚ready‘, meine Chance wird kommen.“
Im Kopf war ich ein Basketballer, körperlich aber nicht.
Neben dem arrivierten Matthias „Matze“ Linortner war damit vor allem Nachwuchshoffnung Nico Kaltenbrunner gemeint, der bis dahin nur sporadisch zum Einsatz gekommen war. „Jeder weiß, dass ich letztes Jahr ein sehr schweres Jahr hatte mit wenig Spielzeit, oft auch nur als Trainingsspieler. Aber ich habe immer gesagt, ich bin ‚ready‘, meine Chance wird kommen.“
Kaltenbrunner und seine Teamkollegen nahmen die Herausforderung des neuen Trainers an, während der Verband im Hintergrund weiter arbeitete und mit Enis Murati nicht nur eine Fünf-gegen-Fünf-Legende verpflichtete, sondern mit Quincy Diggs auch einen gefragten Legionär einbürgerte.
Im Schatten der großen Namen war es jedoch Kaltenbrunner, der den größten Schritt in seiner Entwicklung machte. Vom gefeierten U23-Talent (die FIBA rankt den St. Pöltner als Nummer eins der Welt bei den Spielern unter 23 Jahren, Anm.) ist er in dieser Spielzeit gemeinsam mit dem restlichen Team an der Weltspitze angekommen.
„Der Nico hat einen extremen Schritt nach vorne gemacht, der war letzte Saison nur bei ganz wenigen Turnieren im Einsatz. Jetzt ist er ein weiterer Spieler, der mit dem Ball kreieren kann. Wir haben dieses Jahr vier Spieler, von denen alle jederzeit scoren können“, schwärmt Teamkollege Linortner.
Um 22 Kilo leichter
Kaltenbrunner selbst bleibt am Boden: „Ich bin vor allem froh, dass ich in dieser Saison fix dabei bin und große Turniere spielen darf. Natürlich bin ich stolz, dass ich die Nummer eins der Welt unter 23 bin, aber bei den Profis heißt das nicht viel. Deshalb bin ich glücklich, dass ich mich bei Team Vienna etabliert habe und mit meiner Mannschaft diese Erfolge sammeln darf.“
Dass Kaltenbrunner sich so bescheiden gibt, hat wohl mit seiner Entwicklung zum 3x3-Star zu tun, denn diese war vor einigen Jahren noch alles andere als gewiss. „Ich hatte immer Probleme mit meinem Gewicht, auch wenn ich dafür relativ schnell war. Das hat mich im Nachwuchs noch ausgezeichnet. Am Sprung zum Profi war das dann aber ein Nachteil.“ 124 Kilo verteilt auf eine Körpergröße von 1,86 Meter hatte der damalige SKN-Spieler vor einigen Jahren.
Dementsprechend konnte er sich in der Kampfmannschaft in der niederösterreichischen Landeshauptstadt auch nicht gleich durchsetzen. „Mit 19 Jahren versteht man das nicht unbedingt. Im Kopf war ich ein Basketballer, körperlich aber nicht“, erinnert sich der heute leichtfüßige Scharfschütze. „Dann kam 3x3 und hat mein Leben verändert.“
Er habe damals die richtigen Leute zur richtigen Zeit getroffen, sei schließlich Heeressportler geworden und habe so die perfekten Rahmenbedingungen vorgefunden, so der St. Pöltner „3x3ler“. Kontinuierlich nahm er von da an ab, lebte teils monatelang vegan, sodass er heute 102 Kilo auf die Waage bringt und Gegner immer wieder mit seiner Spritzigkeit überrascht.
Viel leichter will er aber nicht mehr werden, denn gerade im 3x3 brauche er „Substanz“, um in der Zone dagegenzuhalten.
„Schwer, uns aufzuhalten“
Substanz wird es nach einer langen Saison – Team Vienna ist seit mittlerweile Februar im Dauereinsatz – auch beim World-Tour-Finale am Roten Meer brauchen. Deklariertes Ziel ist es, die starke Saison mit einer Spitzenplatzierung zu krönen und viel Schwung für die nächstjährige Olympia-Qualifikation mitzunehmen. Bereits in der Gruppenphase am Freitag wartet mit Antwerpen ein unangenehmer Gegner (19.05 Uhr MEZ). Kurz davor (17.10 Uhr MEZ) geht es gegen einen Qualifikanten, der noch nicht feststeht.
Fest steht jedoch, dass die Wiener eine Top-Leistung brauchen werden, um den – damals noch überraschenden – Finaleinzug aus dem Vorjahr zu wiederholen. Kaltenbrunner denkt mittlerweile aber ohnehin in größeren Dimensionen: „Der erste Platz ist das Ziel, dafür haben viel Zeit und Kraft investiert. Jeder von uns hat viel geopfert, jetzt wollen wir unsere beste Leistung abrufen.“
Sollte das heimische Quartett seiner Favoritenrolle in der Gruppenphase gerecht werden, geht es am Samstag in der K.o.-Phase weiter. Dort ist im 3x3 bekanntlich alles möglich, vor allem für das wohl stärkste Team Vienna aller Zeiten und seinen Shootingstar Nico Kaltenbrunner: „Wenn wir als Mannschaft auftreten, ist es schwer, uns aufzuhalten.“