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Zankapfel Goaliebehinderung: Warum das Thema so komplex ist

Zankapfel Goaliebehinderung: Warum das Thema so komplex ist Foto: © GEPA

Ein Tor nach Videobeweis aberkannt, eines anerkennt, dann noch bei Hohem Stock auf Videobeweis verzichtet – beim sonntäglichen TV-Spiel zwischen Red Bull Salzburg und KAC war im ersten Drittel einiges los (Spielbericht>>>). Vor allem in puncto "Torhüterbehinderung" scheiden sich immer wieder die Geister, auch unter den Refs. Ein Versuch, in einem schwabbeligen Regelbereich einige Leitplanken einzuschlagen:

Szene 1: Thomas Raffl (wie immer als Screen vor dem Tor) und kurz auch Peter Schneider bedrängen KAC-Goalie Sebastian Dahm, der aus seiner Bauchlage nicht mehr aufkommt, während Ryan Murphy in den verwaisten Kasten einschießt. Die Refs entscheiden nach Videobeweis auf kein Tor, sahen Dahm offenbar in seiner Arbeit im Torraum behindert.

Szene 2: Peter Hochkofler kommt von links aus dem toten Winkel von Paul Postma bedrängt, kegelt Dahm über den Haufen, während Troy Bourke aus dem Rückraum einschießt. Call nach dem Videobeweis: Tor!

Beide Entscheidungen sind zu vertreten, keineswegs grundsätzlich falsch. Beim zweiten Tor unterstellte man offenbar Postma, dass sein Stockeinsatz erst Hochkofler zu Fall gebracht hätte. Wäre ich anderer Meinung - wenn ein Spieler mit hohem Tempo Richtung Crease geht, kann von einem Defender nicht erwartet werden, dass er diesen überhaupt nicht berührt, für mich war Postmas Haken ein untergeordneter Faktor. Aber wenn die Refs das anders sehen, kann man ihnen das auch nicht übelnehmen oder widerlegen.

ICE-Direktor Lyle Seitz (in Abwesenheit von Schiri-Chef Tom Kowal) sprach dann auch in der Drittelpause von "Judgement Calls", also von Einschätzungen. Bei solchen Szenen scheiden sich auch unter den Refs oft die Geister – durchaus möglich, dass ein anderes Pärchen als Fichtner/Piragic genau entgegengesetzt entschieden hätten.

Die Regel 69 zur Torhüterbehinderung macht im IIHF-Regelbuch satte drei Seiten aus, im ICE-Gamebook kommen dann noch einmal kurze Erläuterungen dazu. Trotzdem und gerade deswegen bleibt ein riesiger Graubereich, daher einige Leitplanken:

Der Torraum gehört dem Goalie

Es ist für Angreifer nicht verboten, den Torraum mit und ohne Scheibe zu betreten, einzig ein längeres Verweilen dort soll (ohne Strafe) abgepfiffen werden, das Faceoff wandert ins Mitteldrittel.

Aber meist geht es ja um Szenen, wo Puck, Goalie und Angreifer zur gleichen Zeit eintreffen und den gleichen Raum beanspruchen. Und der gehört im blauen Bereich eben dem Goalie. Ein Extrembeispiel, das kaum bekannt ist: Der Angreifer steht links im Torraum, der Goalie sieht ihn gar nicht, wird auch nicht behindert. Im Zuge einer Abwehrbewegung verschiebt er aber nach links und in den Angreifer, der dort wie ein Zinnsoldat steht. Der Puck schlägt ein, das Tor ist aber abzuerkennen, auch wenn der Kontakt vom Goalie ausging.

Jeder Kontakt – egal ob vermeidbar oder unvermeidbar – eines Angreifers mit dem Goalie im Torraum sollte zur Aberkennung eines Tores führen, dazu gehört natürlich auch der Stock. Der Unterschied sollte nur darin liegen, dass ein absichtlicher Kontakt zu einer Strafe führt, das ist aber nur sehr selten der Fall. Nach dem Videobeweis kann diese Strafe aber nicht ausgesprochen werden, selbst wenn das Tor aberkannt wird.

Zur Aberkennung eines Tores reicht es auch schon, dem Goalie durch Stehen im Torraum die Sicht zu nehmen. In der ICE wurde das immer liberaler ausgelegt, die Refs waren inoffiziell eher dazu angehalten, Tore ohne Körperkontakt anzuerkennen und die Erläuterung heute sprechen auch nur von Kontakt, nicht von Sichtbehinderung. Ein kurzes Vorbeifahren am Goalie sollte auch international auf keinen Fall zu Aberkennung des Tores führen.

Salzburg-Keeper Tolvanen war mit der Szene gar nicht einverstanden.
GEPA

Natürlich werden immer wieder Tore anerkannt, wenn Spieler und Goalie sich im Torraum um den Puck balgen, vor allem wenn der Angreifer die Scheibe selbst dorthin trägt oder es um Rebounds geht. Da ist auch "incidental contact" durch die Regel abgedeckt und hier tut sich dann schon ein großer Graubereich auf.

Wichtig auch und das steht auch so im ICE-Gamebook: Kann der Goalie sich nach einer Behinderung wieder aufrichten und seinem Job ungehindert nachgehen. Ein Tor sollte nicht aberkannt werden, nur weil der Goalie fünf Sekunden vor dem Schuss kurz berührt wurde und schon längst wieder steht. Aber auch das ist ein Graubereich – was, wenn er sich kurz aufgerichtet hat, bevor es einschlägt?
Aber grundsätzlich gilt: Der Torhüter darf sich im Torraum frei bewegen, wenn ihn ein Angreifer daran hindert, ist die Gefahr groß, dass ein Tor aberkannt wird und eigentlich sollte es auch viel öfters Strafen geben.

Kontakt durch den Verteidiger initiiert?

Eine Ausnahme für diese Regel gilt natürlich, wenn der Angreifer durch einen Defender in den Goalie gestoßen oder anderweitig zu Fall gebracht wurde. Das galt gestern im Falle "Postma/Hochkofler", aber auch hier bleibt natürlich ein Graubereich: Positionskämpfe um das Tor sind alltäglich, wann nutzt der Angreifer diese dazu aus, in den Goalie zu fallen und wann ist sein Sturz wirklich unvermeidbar?

Selbst wenn ein Stürmer klar in den Goalie gecheckt wurde, kann er das nicht dazu ausnützen, dort sein Nachtlager aufzuschlagen. Er muss sich schon nach Möglichkeit wieder aufrappeln, bevor die Scheibe einschlägt und von Haus aus vermeiden, den Torhüter zu berühren. Ein Freibrief ist Körperkontakt durch den Defender daher nicht.

Kontakt außerhalb des Torraums

Da gelten keineswegs Wild-West-Regeln, einem gewissen Schutz unterliegt der Goalie dort noch immer und zwar bei vermeidbarem Kontakt. Geht er etwa außerhalb des Torraums in den Butterfly, kann er nicht über den Haufen gefahren werden. Sollte seine Abwehraktion aber zeitgleich auf einen Spieler stoßen, der diesen Raum ebenfalls in Anspruch nimmt, dabei keineswegs Böses im Schilde führt, bleibt der Goalie aber im Gegensatz zum Torraum aber auf der Strecke.

Eine Szene wie am Freitag in Wien, als Zane Franklin nach einem Nachschuss traf, Pustertal-Goalie Bernard außerhalb des Torraums den Puck nicht bändigen konnte, hätte meiner Meinung nach nie zu einer Aberkennung des Treffers führen sollen – die Realität sah anders aus.

Für mich eine Szene, die schon im Torraum diskutabel gewesen wäre, handelt es sich eben um eine Rebound-Situation, wo sogar laut IIHF-Regelbuch "incidental contact" erlaubt wäre. Hier reichte aber schon ein kurzes Nachstoßen dafür, das Tor abzuerkennen, was mit der sonstigen ICE-Regelauslegung nicht im Einklang steht.

Was aber weder im noch außerhalb des Torraums gilt: Selbst bei Rebounds oder "loose pucks" kann ein Torhüter nicht mit der Scheibe wie mit einer Heugabel über die Linie geschoben werden.

Kurz zusammengefasst:

Goalie im Torraum behindert – kein Tor, egal ob vermeidbar oder nicht. Ausnahmen: 1) Der Stürmer wird durch einen Defender in den Torraum gestoßen und kann nicht rechtzeitig wieder raus. 2) Der Goalie hat genug Zeit, wieder seine Position einzunehmen. Goalie außerhalb des Torraums behindert – wenn vermeidbar: Kein Tor, ansonsten Tor

Rebounds/Loose Pucks: Sowohl innerhalb als auch außerhalb ein Graubereich: Wenn beide Seiten nach der Scheibe gehen, ok, der Angreifer kann das aber nicht dazu benützen, den Goalie übermäßig zu traktieren oder ihn ins Tor zu schieben

Torraumabseits/Coaches' Challenges & Timeouts

Die derzeitigen Regeln lassen ohnehin genug Interpretationsspielraum, da braucht man nicht noch für Verwirrung zu sorgen. Daher:
Wenn jemand von "Torraumabseits" spricht, brauchst du ihm gar nicht mehr zuzuhören. Entweder hat er seit knapp 25 Jahren nicht mehr in ein Regelbuch geschaut oder bezieht dieses aus einem Antiquariat. Die Regel "Torraumabseits" gibt es schon seit Ewigkeiten nicht mehr (mindestens 2006, das ist mein ältestes Regelbuch).

Der Unterschied zwischen "Torraumabseits" und "-behinderung" ist keineswegs nur Semantik – das Torraumabseits war eine typische Eishockey-Abseits-Regel, wo es verboten war, eine Linie (eben die zum Torraum) vor der Scheibe zu überqueren. Wenn ein Angreifer der Scheibe folgte oder sie durch einen Defender dorthin befördert wurde, durfte er den Torraum betreten. Was er dann tun durfte oder nicht, war nie festgehalten. Die heutigen Regeln fallen da viel detaillierter aus…

Die in der ICE lange gültige Regel, dass Coaches' Challenges wegen "Torhüterbehinderung" bei negativem Ausgang zum Verlust des Timeouts führen, gilt heute nicht mehr. War ohnehin immer dadaesk, da man zwar das Timeout verlor, umgekehrt auch ohne Timeout weiter challengen durfte.

Warum das Ganze nicht vereinfachen?

Wie gesagt: Der Graubereich bei der Torhüterbehinderung ist groß, sogar die Refs haben hier oft divergierende Ansichten. Warum das Ganze nicht vereinfachen?

Das gab es ja schon einmal und Lyle Seitz weist zu Recht darauf hin, dass die damalige "Foot-in-the-Crease"-Regel (Spieler im Torraum bedeutete kein Tor) zu Recht wieder abgeschafft wurde. Viele Tore wurden aberkannt, ohne dass das im Sinne des Sports war und selbst dann blieben immer noch Fragen und Unterregelungen offen (siehe Stanley-Cup-Finale von 1999)…

Es wird nicht nur in der ICE dabeibleiben, dass jeder Videobeweis jede Entscheidung offenlässt, klare Fälle gibt es eher selten. Wer aber eine Lösung für dieses Problem hat – die IIHF bzw. die ICE würden sich sicher freuen…


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