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Der All-Star, den die NHL nicht wollte

LAOLA1 Foto: ©

„MVP! MVP! MVP!“

Die rund 17.000 Zuschauer in der Bridgestone Arena in Nashville waren sich nach der Schlusssirene des NHL All-Star-Games 2016 einig, wer die prestigeträchtige Auszeichnung bekommen sollte.

Das NHL All-Star-Game. Ein Schaulaufen, in dem üblicherweise die Creme de la Creme und beliebtesten Spieler der besten Eishockey-Liga der Welt ihr Können zeigen: Jaromir Jagr, Jewgeni Malkin, John Tavares, Patrick Kane - Die Liste der Feintechniker ließe sich ebenso wie jene ihrer Erfolge und atemberaubenden Karriere-Stats länger fortsetzen.

Gemeint war aber keiner der altbekannten Stars. Im Fokus stand John Scott.

Seine Visitenkarte: Neun NHL-Saisonen, 285 Spiele. Fünf Tore. sechs Assists. Summa summarum elf Punkte. Nicht gerade hervorstechend. Das sind dann schon eher seine 542 Strafminuten.

John Scott ist Enforcer. Ein Spieler, der die Teamkollegen vor allzu aggressiven, provozierenden Gegenspielern schützt. Wenn nötig, eben auch in Schlägereien am Eis. Im wahrsten Sinne die Dreckarbeit erledigt.

Doch wie passt nun dieser unglamouröse Grobmotoriker in die Ansammlung der Kufenkünstler? Eine Frage, die im Vorfeld des All-Star-Games auch die NHL beschäftigte.

Und die beinahe zur Eliminierung des atypischen All-Stars vom traditionellen Event führte.

Das verhängnisvolle Fan-Voting

Im November stellte die NHL das neue Prozedere zum All-Star-Game vor. Jede der vier Divisions sollte ein Team stellen. Die überwiegende Mehrheit der Spieler wurde intern bestimmt, nur die vier Team-Kapitäne per Fan-Voting gewählt. Der Beginn der John-Scott-Kampagne.

Anfangs nur als Internet-Gag gedacht, entwickelte sich schon bald eine regelrechte Bewegung in den sozialen Netzwerken, die den damaligen Spieler der Arizona Coyotes im Spiel der besten und populärsten NHL-Profis sehen wollte. Einen Spieler, der in dieser Saison bis Jahresende gerade mal elf Einsätze hatte und bis Jahresende drei Mal auf der als Abschussliste bekannten Waiver-Liste stehen sollte.

Nun sind kuriose Fan-Unterstützungen für einen Spieler nicht neu. So verpasste 2006 Vancouver-Defender Rory Fitzpatrick nur hauchdünn das Event. Letztes Jahr ergatterte der lettische Buffalo-Center Zemgus Girgensons gar die meisten Stimmen aufgrund einer Kampagne in seinem Heimatland. Doch ein Enforcer?

„Wählt lieber meine Teamkameraden“, äußerte sich der Kanadier, der ein Ingenieurs-Diplom sein Eigen nennen darf, beinahe peinlich berührt.

Ein paar Wochen später hatte John Scott die Wahl aber gewonnen. Der nunmehrige Kapitän der Pacific Division hatte sogar mehr Votes als die namhaften anderen Amtsträger Jagr, Ovechkin (fehlte im All-Star-Game verletzungsbedingt) und Kane abgestaubt.

Ein Ergebnis, das nicht allen gefiel.

Steine in den Weg gelegt

13 Tage danach wurde der 33-Jährige nämlich vom eigenen Team weggetradet. Zu den Montreal Canadiens in die Atlantic Division, die ihn gleich weiter zum Farm-Team, den St. John's IceCaps, schickten. „Aus sportlichen Gründen“, wie Coyotes-General-Manager Don Maloney ausdrücklich betonte. Doch die schiefe Optik blieb, die Gerüchteküche brodelte:

Nicht das Internet machte dies möglich. Ich habe mir den Arsch aufgerissen, um zu diesen Besten zu gehören.

John Scott

Die NHL-Offiziellen sollen sich höchstpersönlich in den Deal eingemischt haben, um den unliebsamen All-Star loszuwerden. Denn es klänge natürlich plausibel, einen Spieler, der nur in der zweitklassigen AHL spielt, nicht für die Showbühne der NHL-Elite zuzulassen. Zudem stellte der Division-Wechsel die Wahl zum Pacific-Kapitän in Zweifel.

Die Fans, deren Voting drohte, damit ad absurdum geführt zu werden, protestierten. Ein regelrechter Shitstorm gegen die berühmteste Eishockey-Liga der Welt startete. „Free John Scott“.

„Ich gehöre dazu“

Der Hauptakteur äußerte sich zu dieser heiklen Phase (nachträglich) gegenüber „theplayerstribune“: „Einer der Gründe, warum ich mich solange in der Liga halten konnte, war, dass ich weiß, dass ich eben kein All-Star bin. Ich verdiene das nicht. Aber genauso wenig so von der Liga behandelt zu werden wie zuletzt. Ich bin ein NHL-Spieler. Und das ist kein Zufall. Ich glaube fest daran, dass sich meine Mitspieler, wenn ich am Eis oder nur auf der Bank bin, sicherer fühlen, ihr Bestes abzurufen.

Das ist nicht (der Film) „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Ich habe kein goldenes Ticket gewonnen, um mit den Stars Hockey zu spielen. Es war ein Fan-Voting. Über 700 der besten Eishockey-Spieler im nordamerikanischen Profi-Sport. Ich bin einer davon.

Seit ich drei Jahre alt bin, bin ich jeden Tag Schlittschuh gefahren, um dazuzugehören. Ich habe Junioren-Kaderschnitte, mühsame Busreisen durch Alaska, komplizierte Physik-Prüfungen und ja, auch Kämpfe durchgestanden, um dazuzugehören.

Ich gehöre dazu.”

Am 19. Jänner veröffentlichte die NHL nüchtern die offizielle Entscheidung: „John Scott wird das Team der Pacific Division anführen“. NHL Commissioner Gary Bettman verlautbarte, dass niemals Zweifel an Scotts Teilnahme bestanden hätten.

Der Frage, ob Scotts Aussagen stimmen, dass ein NHL-Offizieller ihn gefragt haben soll: „Glaubst du, deine Töchter wären stolz darauf, was du machst?“, wich der Herr der Liga aus.

Bewegende Momente

Dem Auftritt von John Scott am All-Star-Weekend in Nashville stand jedenfalls nichts mehr im Wege. Die Zuschauer goutierten dies.

Bereits bei der Teamvorstellung am Samstag erhielt er den lautesten Applaus in der Arena. „Es war wirklich eine Ehre. Das hätte ich nicht erwartet. Ich war einfach nur nervös und dann überwältigt.“

Auch All-Star und San-Jose-Defender Brent Burns freute sich mit: “Er hat die härteste Rolle im Hockey. Als Enforcer bekommt man nie die Anerkennung, die man verdient. Sie lassen alle jungen, kleinen Spieler in angsteinflößenden Arenen besser aufspielen. Es ist schön zu sehen, dass die Fans das anerkennen.“

Happy end

Als Scott sich dann auch noch nach nicht einmal einer Minute im ersten Spiel, in seinem ersten Shift, in die Schützenliste eintrug, brachen alle Dämme. Standing Ovations.

Wenig später sollte der Kanadier sogar noch einen Treffer nachlegen. Als ob sich der Mann, der in 285 NHL-Spielen zuvor nur fünf Mal traf, die Tore für dieses besondere Spiel aufgehoben hatte.

Durch den 1:0-Finalsieg gegen die Atlantic Division ging das Scott-Team schließlich als Sieger des All-Star-Games hervor. Womit eben nur noch die Frage nach dem MVP, the most valuable Players, offen blieb: Natürlich John Scott.

HalbfinaleFinale
Atlantic Division-Metropolitan Division4:3Atlantic-Pacific0:1
Pacific Division-Central Division9:6

Als Belohnung kassierte er dafür ausgerechnet vom lautstark ausgebuhten NHL-Commissioner Gary Bettman den Check über 90.000 US Dollar samt Schlüssel für das gewonnene Auto.

„Ich dachte, ich würde das All-Star-Weekend im Hintergrund verbringen. Das hat sich dann doch anders rausgestellt. Es war wahrscheinlich das Coolste, was ich je im Eishockey erlebt habe“, fasste Scott das Wochenende zusammen. Bevor er wohl mit seinem neuen Auto, seiner hochschwangeren Frau Danielle sowie seinen beiden Töchtern nach Hause fuhr.

Denn bereits am Freitag steht für den NHL-All-Star das nächste AHL-Game an.

 

Andreas Gstaltmeyr

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