Einen virtuellen Draft sind die Scouts schon vom letzten Jahr gewohnt. Damals wurde die Saison im März abgebrochen, etwa 80 Prozent der Viewings waren da schon im Kasten.
Heuer sah es wegen Corona noch schlimmer aus: Die OHL kam nie in die Gänge, die WHL erst spät, einzig die QMJHL legte so etwas wie einen halb-regulären Spielbetrieb hin, wenngleich auch nicht alle Teams. In Europa wurden die Juniorenligen in Tschechien, Finnland und Schweden vorzeitig abgebrochen.
Bei vielen Spielen waren auch keine Scouts zugelassen, aufgrund der Probleme an den Grenzen und sogar zwischen einigen Regionen oder Ländern verzichteten viele Scouts auch auf größere Trips.
Das Resultat: Viele Viewings fanden nur via Streaming statt – statt Ergänzung zu Live-Eindrücken also als einzige Möglichkeit. Was für viele Möchtegern- und Amateur-Scouts immer die einzige Möglichkeit ist, bereitet altgedienten Talentesuchern großes Bauchgrummeln. Nicht sie bestimmen, was sie sich am Eis ansehen wollen, sondern die Kamera. Vor allem in puncto Antizipation (fällt unter „Hockey Sense“) und Eislaufen ein Riesenproblem.
Noch schlimmer: Einige Spieler spielten fast gar nicht oder überhaupt nicht. Die üblichen Aufsteiger in den Draft Charts (letzte Saison etwa Rossi-Vereinskollege Jack Quinn) gibt es heuer kaum, zu kurz war die Saison. Auf mehr als 40 Spiele brachten es nur wenige Cracks, zehn bis 20 waren gebräuchliche Zahlen.
Teams müssen sich viele unübliche Fragen stellen: Stellen wir die Leistungen bei der U18-WM noch mehr in den Vordergrund als sonst? Wie sehr gehen wir in die Underage-Jahre der Spieler zurück? Wie gewichten wir die TV-Viewings? Ab wann wenden wir uns von unserer Liste ab und vertrauen den Regional-Scouts, die die Spieler am meisten gesehen haben?
Grundsätzlich gilt: Höhere Picks können aufgrund der wenigen Viewings zu Glücksspielen werden, Picks zur Mitte des Drafts könnten erstmals seit Jahrzehnten für fast unbekannte oder kaum gescoutete Spieler verwendet werden. Es würde nicht überraschen, wenn die Draftreihenfolge Jahre später viel mehr auf den Kopf gestellt wird als in den letzten Jahren.
Der Draft 2021 allgemein
Nicht nur aufgrund der problematischen Scouting-Lage: Recht verzückt von der heurigen Draftklasse ist kaum jemand, vor allem im Vergleich zu den letzten Jahren, als auch zu 2022 (Shane Wright!). Dylan Guenther (Bild), Owen Power, Matthew Beniers, Luke Hughes (der jüngste der drei Hughes-Brüder) oder Simon Edvinsson – alles gute Prospects, aber potentielle Superstars? Der Finne Aatu Räty, vor der Saison noch als möglicher Nr.1-Pick angesehen, purzelte aufgrund einer sehr schwachen Spielzeit in den Draft Charts weit hinunter. Findet sich ein Team, das für ihn einen hohen Pick opfert und daraufsetzt, dass er sein Potential wieder ausschöpfen kann?
Kurios, dass einige der nordamerikanischen Talente nach Europa emigrieren mussten, normalerweise läuft das umgekehrt: Brandt Clarke spielte im slowakischen Nove Zamky, Brennan Othmann und Mason McTavish im schweizerischen Olten, Brett Harrison bei KooVee in der finnischen Juniorenliga. Alles Erstrunden-Kandidaten, ebenso wie Center Francesco Pinelli, der sich sogar bei Jesenice in der AlpsHL wiederfand.
Österreicher und Deutsche
Findet sich ein Team, das Goalkeeper Sebastian Wraneschitz aufgrund der Junioren-WM zieht? Nicht unmöglich, darauf setzen würde ich aber nicht. Die drei rot-weiß-roten Picks des Vorjahres (Rossi, Nickl, Baumgartner) bleiben sicher unerreicht. Auch Deutschland ist vom unglaublichen Draftjahr 2020 (Stützle, Reichel und Peterka unter den Top-34) meilenwert entfernt. Einzig Florian Elias von den Mannheimer Adlern konnte sich bei den Junioren-WMs ins Rampenlicht spielen, er und einige andere Cracks könnten aber später am zweiten Tag zum Zug kommen.