Es ist die natürliche Reaktion des Menschen, nach Schicksalsschlägen alles zu hinterfragen.
So auch nach dem schweren Sturz von Lukas Müller (Die ernüchternde Diagnose) im Einfliegen für die Skiflug-Weltmeisterschaft am Kulm.
Schnell stellt sich die Schuldfrage (offenbar war es ein Materialproblem), aber auch die Sicherheit des Skifliegens wird rasch diskutiert.
Walter Hofer, seit 1992 als FIS-Renndirektor im Skispringen im Einsatz, zeigt dafür Verständnis, versucht die Sicherheitsdebatte aber sachlich und ohne Emotionen zu zerlegen.
Müller und Fairall: „Kann man nicht vergleichen“
So hält er nichts von möglichen Parallelen der Stürze von Nick Fairall vor einem Jahr in Bischofshofen und jenem von Müller nun am Kulm.
„Das kann man nicht vergleichen“, stellt er klar. Während Fairall bei der Landung Probleme hatte, führte ein Zwischenfall in der Luft zum Unfall von Müller.
Auch die vielen schweren Stürze der letzten zwei Jahre will er nicht als Beweis dafür sehen, dass Skispringen gefährlicher wurde. „Als ich Betreuer war, gab es in jeder Ergebnisliste Athleten, die als gestürzt gewertet wurden. Es gibt jetzt auch glimpflich ausgegangene Stürze."
Nichtsdestotrotz sei logisch, dass durch äußere Einflüsse oder individuelle Fehler immer ein Gefahrenpotenzial vorhanden ist, das Stürze zur Folge haben kann.
„Bei zwei Dritteln haben wir eine wesentliche Verbesserung erreicht, dafür gibt es Probleme bei der Landung und Ausfahrt.“
Hofer: Die Sicherheit wurde deutlich verbessert
In den letzten 30 Jahren sei das Skispringen dennoch deutlich sicherer geworden. Nachdem 1986 nach mehreren Zwischenfällen beschlossen wurde, die 191-Meter-Regel einzuführen (niemand wurde mit größerer Weite gewertet), folgten unter der Ägide von Hofer sukzessive Schritte, die mehr Sicherheit gewährleisten sollten.
Zunächst führten die Verantwortlichen die Schneespur ein, die schließlich vereist wurde. Damit wurde dem Athleten das erste Drittel vom Zitterbalken bis zum Absprung erleichtert.
Gleichzeitig veränderte sich die Spannung eines Skis. War er früher aufs Skifahren ausgelegt, ging es fortan nur noch ums Skispringen. Die Luftfahrt gestaltete sich damit einfacher für die Sportler.
Bei allen Fortschritten gibt es aber - wie fast immer - auch Nachteile. „Im Klartext heißt das: Bei zwei Dritteln haben wir eine wesentliche Verbesserung erreicht, dafür gibt es Probleme bei der Landung und Ausfahrt.“
50 Athleten, 50 Lösungen
Müllers Sturz fällt zwar nicht in diese Kategorie, sehr wohl aber jene von Nick Fairall und Simon Ammann im Vorjahr in Bischofshofen. „Beim Ausfahren kann der Athlet nicht mehr gut Skifahren“, weiß Hofer.
Eine Ursache dafür ist die Bindung, mit denen die Springer ans Werk gehen. „Wir als Funktionäre sind nicht in der Lage, ihnen vorzuschreiben, was sicherer ist“, spricht der 60-Jährige über das Kernproblem.
Der Athlet selbst muss das passende Setup finden, bei 50 Athleten gebe es 50 unterschiedliche Lösungen. Interessant ist, dass mit aerodynamischen Vorteilen auch mehr Sicherheit einhergeht.
Ein gewisses Risiko kann man aber nie ausschließen. In einer Sportart, in der man sich mit über 100 km/h bewegt, entsteht eine potenzielle Energie. „Wird diese durch eine Irritation in kinetische Energie umgewandelt, ist der Ausgang offen.“
So intensiv über alles diskutiert wird: Es wird immer Komponenten geben, die zu Stürzen führen können. Das ist tragisch, aber auch Teil des Geschäfts, worüber sich jeder Athlet im Klaren ist.
Christoph Nister